Bekämpfung von Steuerhinterziehung als Zielsetzung: Die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -missbrauch ist ein Ziel, das von der Richtlinie anerkannt und gefördert wird. In Umsetzung dieses allgemeinen Ziels sind in den letzten Jahren insbesondere die nachfolgenden Entscheidungen ergangen.
1. EuGH Rs. Kittel und Recolta Recycling (C-439/04 und C-440/04)
Objektive Kriterien der Lieferung bei Steuerhinterziehung nicht gegeben: In den Rechtssachen Kittel und Recolta Recycling stellte der EuGH klar, dass die objektiven Kriterien, auf denen der Begriff der Lieferung von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher ausführt, und der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit beruhen, nicht erfüllt sind, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begeht.
Das nationale Gericht müsse daher den Vorteil des Rechts auf Vorsteuerabzug verweigern, wenn aufgrund objektiver Umstände feststehe, dass dieses Recht in betrügerischer Weise geltend gemacht wird.
Gleiches gelte, wenn ein Steuerpflichtiger wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist. In diesem Fall sei er als an der Hinterziehung Beteiligter anzusehen, unabhängig davon, ob er aus dem Weiterverkauf der Gegenstände einen Gewinn erzielt.
2. EuGH Rs. R (C-285/09)
Anwendung der "Missbrauchsrechtsprechung" bei ig. Lieferung: Mit der Rechtssache R hat der EuGH die "Missbrauchsrechtsprechung" auf die innergemeinschaftlichen Lieferungen ausgedehnt und die Versagung der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen legitimiert.
3. EuGH Rs. Mahagében und Dávid (C-80/11, C-142/11 und Rs. Bonik C-285/11)
Bestätigung der "Missbrauchsrechtsprechung": In den Rechtssachen Mahagében und Dávid sowie Bonik wurden die Grundsätze der "Missbrauchsrechtsprechung" bestätigt und klargestellt, dass die Beweislast der Behörde obliegt.
4. EuGH Rs. Italmoda (C-131/13, C-163/13 und C-164/13)
Verallgemeinerung der "Missbrauchsrechtsprechung": In den Rechtssachen Italmoda verallgemeinerte der EuGH seine "Missbrauchsrechtsprechung" weiter. Bei Betrug und Missbrauch seien die vom Unionsrecht eingeräumten Rechte generell zu versagen. Niemand solle sich missbräuchlich oder betrügerisch auf die im Rechtssystem der Union vorgesehenen Rechte berufen können. Dies sei ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts.
5. EuGH Rs. Enteco Baltic (C-108/17)
Anwendung der "Missbrauchsrechtsprechung" auf Ausfuhrlieferungen: In der Rechtssache Enteco Baltic prüfte der EuGH, ob die "Missbrauchsrechtsprechung" auf die Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen Anwendung findet. Im Ergebnis ist grds. die Steuerbefreiung für die Ausfuhr auch bei der Einfuhr zu versagen, wenn der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass die auf die fraglichen Einfuhren folgenden Lieferungen mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft waren, und wenn er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um dies zu verhindern.
Allerdings gilt dies für Ausfuhrlieferungen nur, wenn festgestellt wird, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass dem Umsatz ein gegen das gemeinsame Mehrwertsteuersystem begangener Betrug anhaftet. Das Steueraufkommen von Drittstaaten wird dagegen nicht geschützt.
6. BFH (V R 20/19 und V R 24/19)
Der Rechtsprechung des EuGH zu Ausfuhrlieferungen hat sich mittlerweile auch der BFH in zwei Entscheidungen vom 12.3.2020 angeschlossen und festgehalten, dass die "Missbrauchsrechtsprechung" nicht auf Ausfuhrlieferungen übertragbar ist, wenn der Steuerschade...