Gehen die Meinungen der Parteien darüber, was in einem Vertrag vereinbart wurde, auseinander, sind im Wesentlichen fünf Sachlagen auseinander zu halten:
- die Parteien haben sich in einem Punkt überhaupt nicht geeinigt und sind sich dessen auch bewusst (offener Dissens)
- die Parteien haben sich in einem Punkt überhaupt nicht geeinigt, ohne sich dessen bewusst zu sein (versteckter Dissens)
- eine Partei hat ihren Erklärungen einen anderen Sinn beigemessen als ihnen nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt für einen verständigen Dritten zukommt (Erklärungsirrtum),
- eine Partei hat eine Vereinbarung mit Erwartungen verknüpft, die nicht Vertragsbestandteil geworden sind, aber aus ihrer Sicht für den Vertragsschluss wesentlich waren und später enttäuscht werden (Motivirrtum)
- beide Parteien haben den Vertrag mit Erwartungen verknüpft, die nicht Vertragsbestandteil geworden sind, aber aus beider Sicht für den Vertragsschluss wesentlich waren und später enttäuscht werden (Wegfall der Geschäftsgrundlage)
2.1 Offener Dissens
Haben sich die Parteien nicht über alle Punkte geeinigt, über die nach der Erklärung auch nur einer Partei eine Vereinbarung getroffen werden soll, ist im Zweifel (noch) kein Vertrag zustande gekommen. Dies gilt nicht nur für die Einigung über den wesentlichen Vertragsinhalt, die sog. essentialia negotii, sondern auch für jedes Detail eines Vertrages, wenn nur eine Partei erkennen lässt, dass sie ihren Bindungswillen davon abhängig machen will. Der offene Einigungsmangel führt eher selten zu Streitigkeiten, liegt er doch regelmäßig offen zu Tage.
Beispiel 6
Die Parteien haben alle Details des Vertragsgegenstandes abgestimmt, können sich aber letztlich über den Preis nicht einigen.
Streitigkeiten können sich gleichwohl auch hier ergeben, wenn nur noch in einem Detailpunkt keine Einigung erzielt wurde und eine Partei davon ausgeht, dass der Vertrag im Übrigen jedenfalls bindend zustande gekommen sei.
Beispiel 7
Alle Punkte eines Werkvertrages zur Erstellung einer Produktionshalle bis hin zu den Zahlungsmodalitäten, Erfüllungsbürgschaften und Gewährleistungszusagen wurden einvernehmlich besprochen und detailliert fixiert. Offen ist nur noch der Zeitpunkt der Fertigstellung. Der Unternehmer will äußerstenfalls den 31.10.02 zusagen, der Besteller besteht auf dem 30.09.02. Obwohl insoweit keine Einigung erzielt wurde, ist der Unternehmer der Meinung, den Auftrag zum Bau der Halle bindend erhalten zu haben.
Hier gilt zunächst die Auslegungsregel des § 154 Abs. 1 BGB: ohne vollständige Einigung in allen Punkten kein Vertrag. Ausnahmsweise kann jedoch eine Bindung ungeachtet noch fehlender Einigung entstehen, wenn sich die Parteien erkennbar im Übrigen einigen wollten und die bestehenden Lücken ausgefüllt werden können. Im Beispiel wäre diese Voraussetzung etwa dann erfüllt, wenn die Parteien ungeachtet des noch offenen Punktes einvernehmlich mit der Ausführung begonnen hätten.
2.2 Versteckter Dissens
Schwieriger liegt es im Falle eines versteckten Einigungsmangels: hier glauben die Parteien irrig, eine Einigung erzielt zu haben. Tatsächlich haben sie sich nicht geeinigt. Hier gilt: haben sich die Parteien in Wirklichkeit über wesentliche Vertragsbestandteile nicht geeinigt, fehlt es an einem wirksamen Vertrag. Ansonsten gilt der Vertrag mit Ausnahme des offen gebliebenen Punktes, wenn anzunehmen ist, dass der Vertrag auch ohne eine Bestimmung über diesen Punkt geschlossen sein würde.
Beispiel 8
Die Parteien verwenden in einem Liefervertrag über Benzin das Wort "Ottokraftstoff", ohne zu präzisieren, ob Normalbenzin oder Superbenzin gemeint ist; die Käuferin ging von Superbenzin aus, die Käuferin von Normalbenzin. Der (versteckte) Dissens kommt erst bei der Lieferung zu Tage. Der verwendete Begriff ist objektiv unpräzise und kann auch nicht im Wege der Auslegung mit der einen oder anderen Bedeutung ausgefüllt werden. Es fehlt an einer Einigung über wesentliche Bestandteile des Vertrages und damit an einem wirksamen Vertrag.
2.3 Übereinstimmender Wille bei falscher Erklärung
Vom Dissens zu unterscheiden ist der Fall, dass der Wille der Parteien übereinstimmt, jedoch beide bei der vertraglichen Fixierung dieses Willens eine falsche Begrifflichkeit wählen. Eine solche Falschbezeichnung ist unschädlich. Es gilt: "Wo zwei das Falsche sagen, aber das Richtige meinen, gilt das Gemeinte als gesagt, nicht das Gesagte als gemeint". Der wirkliche übereinstimmende Wille der Parteien hat Vorrang.
Beispiel 9
Im Kaufvertrag wird der Kaufgegenstand (fälschlicherweise) als "Chronometer" bezeichnet. Beide Parteien sind sich jedoch einig, dass damit einfache Uhren gemeint sind, die lediglich mit einer sog. Lunette ausgestattet sind. Der Vertrag ist hier wirksam, geschuldet werden – dem tatsächlichen und übereinstimmenden Willen der Parteien entsprechend – die mit einer Lunette ausgestatteten Uhren.
2.4 Auslegung und Irrtum
Weitaus häufiger als offener und versteckter Dissens ist da...