Zusammenfassung
Das Bürgerliche Gesetzbuch geht davon aus, dass Verträge durch ein Angebot der einen Seite und durch die Annahme dieses Angebots durch die andere Seite zustande kommen. Regelmäßig trifft dies auch zu. Bei komplexen Vertragsgegenständen wird der Vertragsinhalt jedoch bereits im Vorfeld oft von beiden Seiten intensiv verhandelt, entwickelt, geändert und fortgeschrieben, sodass sich beim eigentlichen Abschluss gar nicht mehr feststellen lässt, wer nun der anbietende und wer der annehmende Teil ist. Liegt es so, kommt der Vertrag mit der Annahme des ausgehandelten Inhaltes durch beide Vertragsparteien zustande.
Der folgende Beitrag befasst sich mit der Gestaltung dieser vorvertraglichen Verhandlungsphase und zeigt zudem, welche Risiken grundsätzlich bereits bei einer Vertragsanbahnung bestehen. Letzteres betrifft nicht nur die "Big-Deals", sondern auch die kleinen Geschäfte des täglichen Lebens.
1 Vertragsverhandlungen
Bei Verträgen über komplexe Gegenstände (etwa im Anlagenbau), über mehrseitige Kooperationen (etwa im Gesellschaftsrecht) oder über langfristige Bindungen (sog. Dauerschuldverhältnisse) sind eine Vielzahl von Interessen, Leistungen, Gegenleistungen, Optionen, Bedingungen, Sicherheiten usw. zu regeln. Sie werden üblicherweise nicht von einer Vertragspartei als fertiges Angebot ausformuliert und dann von der anderen Partei mit einer einfachen Annahme akzeptiert. Vielmehr entstehen sie sukzessive in der Folge ausgiebiger Verhandlungen beider Seiten, in denen Entwürfe formuliert, diskutiert und mehrfach verändert werden, bis sie schließlich – wenn die Verhandlungen erfolgreich verlaufen – von beiden Parteien gleichzeitig angenommen werden.
Erstrecken sich solche Vertragsverhandlungen über einen längeren Zeitraum, werden regelmäßig viele Schriftstücke wie Besprechungsprotokolle, Vorschläge und Gegenvorschläge, Absichtserklärungen und Interessensbekundungen ausgetauscht. Bleiben die Verhandlungen stecken, gehen die Meinungen schnell auseinander. Häufig wird dann darum gestritten, ob die eine oder andere Erklärung bereits eine bindende Aussage enthält, aus der die andere Partei berechtigt ist, Ansprüche abzuleiten. Dabei gilt es die im Folgenden aufgeführten schriftlichen Fixierungen zu unterscheiden.
1.1 Letter of Interest
Unverbindlich und ohne rechtliche Folgewirkung ist der sog. Letter of Interest. Mit einem solchen Schreiben wird ein bloßes Interesse bekundet, auf das die andere Seite reagieren kann oder nicht. Es ist gewissermaßen die Einladung, in einen Kontakt zu treten, der Vertragsverhandlungen überhaupt erst möglich macht. Letters of Interest enthalten Formulierungen wie
"Mit großem Interesse haben wir Ihre Präsentation auf der ... – Messe in – .... verfolgt. Als mittelständischer Hersteller von ... sind wir auf eine hocheffiziente Logistik in besonderem Maße angewiesen. Gerne würden wir deshalb die Möglichkeiten einer Kooperation unserer Unternehmen .... mit Ihnen erörtern."
Bleibt das Interesse unerwidert oder der erste Kontakt enttäuschend, hat dies für keine Seite rechtliche Folgen.
1.2 Protokolle
Treten die Parteien in gemeinsame Gespräche ein, kann es sinnvoll sein, den Gesprächsverlauf oder dessen Ergebnis jeweils in Protokollen festzuhalten. Die Protokolle können ausgetauscht und von beiden Seiten abgezeichnet werden. Das hat den Vorteil,
- dass der jeweils erreichte Verhandlungsstand festgeschrieben wird und in den jeweils folgenden Verhandlungsrunden zum Ausgangspunkt genommen werden kann;
- dass bei Ablehnung eines Protokolls durch eine Seite unterschiedliche Auffassungen über den bisherigen Verhandlungsverlauf offen zutage treten – Missverständnisse können so zeitnah ausgeräumt werden; sie werden dann nicht in nachfolgende Verhandlungsrunden "mitgeschleppt";
- dass der Verhandlungsfortschritt – oder eben deren Stillstand – dokumentiert wird.
Nicht empfehlenswert ist die häufig zu beobachtende Praxis, solche – meist umfangreichen – Protokolle einem späteren Vertragswerk anzuhängen, verbunden mit der Vertragsklausel
"Die anliegenden Gesprächsprotokolle vom ..., vom ... und vom ... sind Gegenstand dieses Vertrages."
Da Verhandlungen notwendigerweise weit weniger strukturiert ablaufen als (gute) Verträge aufgebaut sind und nicht selten das in früheren Verhandlungsrunden Gesagte später relativiert oder überholt wird, tragen Protokolle in ihrer Gesamtheit in aller Regel nur Unklarheit und Konfliktstoff in den Vertrag hinein. Es gilt der Satz: In Protokollen findet im Streitfall jede Partei jederzeit einen Beleg für die ihr günstige Position.
Deshalb: Protokolle haben, sobald die Verhandlungen erfolgreich in einen Vertragsschluss münden, ihren Zweck erfüllt. Sie können und dürfen nochmals "ausgegraben" werden, wenn die Geschichte dieser Vertragsverhandlungen eine streitentscheidende Rolle spielt. Aus dem Vertragswerk sollten sie heraus gehalten werden.
Die genaue Bezeichnung als "Gesprächsprotokoll" hilft auszuschließen, dass eine Partei darin bereits bindende Vereinbarungen sieht.