Leitsatz
Ein Erlass von Nachzahlungszinsen aus sachlichen Gründen kommt nicht in Betracht, wenn die Zinsforderung darauf beruht, dass der Steuerpflichtige nachträglich – aber vor dem 31.12.1995 – auf die Steuerfreiheit eines Umsatzes verzichtet hat.
Normenkette
§ 227 AO , § 233a Abs. 1, Abs. 2, Abs. 2a, Abs. 5 AO , Art. 97 § 15 Abs. 8 EGAO , § 102 FGO , § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG , § 9 Abs. 1 UStG
Sachverhalt
Der Kläger veräußerte 1992 die Betriebsstätte der in Konkurs gefallenen GmbH zum Kaufpreis von 900.000 DM. Die Umsatzsteuer in gesetzlicher Höhe sollte hinzukommen, soweit sie zu entrichten sei. Im Juli 1995 erteilte der Kläger der Erwerberin eine Rechnung, die zusätzlich zum Nettokaufpreis Umsatzsteuer gesondert auswies. Das FA änderte am 1.8.1995 den Umsatzsteuerbescheid 1992 nach § 164 Abs. 2 AO entsprechend und setzte deswegen gegen den Kläger Zinsen gem. § 233a AO fest (Zinslaufzeit vom 1.4.1994 bis 4.8.1995).
Der Kläger beurteilte diese Zinsforderung als sachlich unbillig, weil ein Zinsvorteil, der durch Nachzahlungszinsen abgeschöpft werden könne, nicht entstanden sei; er habe als Verkäufer die im Jahr 1995 abgeführte Umsatzsteuer im Jahr 1992 von der Erwerberin nicht erhalten. Auch das FG meinte, die 1992 erbrachte Leistung sei zunächst gem. § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG von der Umsatzsteuer befreit gewesen und erst mit Ausstellung der Rechnung entstanden.
Entscheidung
Die Revision des FA hatte aus zwei Gründen Erfolg:
1. Wie in den Praxis-Hinweisen erläutert, würde mit einer Billigkeitsmaßnahme die ausdrückliche zeitliche Beschränkung der Neuregelung unterlaufen.
2. Vorsicht: Der nachträgliche Verzicht auf die Steuerfreiheit einer Grundstückslieferung wirkt zwar zurück, ist aber kein rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 233a Abs. 2a AO (vgl. BFH, Urteil vom 28.11.2002, V R 54/00, BFH-PR 2003, 148).
Aus dem BFH-Urteil vom 11.7.1996, V R 18/95, BStBl II 1997, 259 – auf das sich das FG gestützt hatte – ergibt sich nichts anderes. Dort wurden die Voraussetzungen für einen Erlass der Zinsen zwar mit der Begründung, es stehe fest, dass der Steuerpflichtige durch die verspätete Steuerfestsetzung keinen Vorteil hatte, bejaht: Der Grund war, dass ein Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen nur deswegen später entstand als der – denselben Sachverhalt wie der Erstattungsanspruch betreffende – Zahlungsanspruch des FA gegen den Steuerpflichtigen, dass das FA den Rückforderungsbescheid vor dem den Erstattungsanspruch begründenden Bescheid erlassen hatte, und die zeitliche Folge zufällig und im Übrigen – anders als der Verzicht auf die Steuerbefreiung – vom Willen des Steuerpflichtigen unabhängig war.
Hinweis
Sachlich unbillig ist die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis – das gilt auch für Zinsen –, wenn sie zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, im Einzelfall aber den Wertungen des zuwiderläuft. Härten, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestands einer Vorschrift bewusst in Kauf genommen hat, stehen jedoch dem Erlass entgegen.
Im Besprechungsfall war noch die vor dem 1.1.1996 geltende Fassung des § 233a AO anzuwenden, die bei Änderungen einer Steuerfestsetzung für die Zinsberechnung allein auf den Unterschiedsbetrag zwischen der festgesetzten Steuer und der vorher festgesetzten Steuer abstellte (§ 233a Abs. 5 Sätze 1 und 2 AO).
Zweck der Regelungen in § 233a AO ist es, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden (Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drucks. 11/2157, 194). Liquiditätsvorteile, die dem Steuerpflichtigen oder dem Fiskus aus dem verspäteten Erlass eines Steuerbescheids typischerweise entstanden sind, sollen mit Hilfe der sog. Vollverzinsung ausgeglichen werden. Ob die möglichen Zinsvorteile tatsächlich gezogen worden sind, ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich unbeachtlich.
Für den Fall der Änderung einer Steuerfestsetzung aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2) ist durch das JStG 1997 § 233a Abs. 2 a AO eingefügt worden. Diese Vorschrift gilt gem. Art. 97§ 15 Abs. 8 EGAO ausdrücklich (nur) in allen Fällen, in denen das rückwirkende Ereignis nach dem 31.12.1995 eingetreten ist.
Der Gesetzgeber hat mithin das Problem der Verzinsung einer Steuernachforderung bei nachträglicher Erhöhung der Steuerschuld aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses gesehen und nur für bestimmte Fälle geregelt. Damit hat er ersichtlich bei den nicht geregelten Fällen die damit verbundenen Härten in Kauf genommen. Insoweit kommt deshalb auch kein Billigkeitserlass in Betracht.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 23.10.2003, V R 2/02