OFD Frankfurt, Verfügung v. 24.3.2011, S 2282 A - 29 - St 223

 

I. Allgemeines

Der BFH hat mit Urteilen vom 16.11.2006, III R 15/06 und 17.6.2010, III R 34/09 seine Rechtsprechung zur Berücksichtigung von (vorübergehend) vollzeiterwerbstätigen Kindern geändert. Sofern die gesamten Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag von derzeit 8.004 EUR nicht übersteigen, besteht Anspruch auf Kindergeld auch für die Monate der Vollzeiterwerbstätigkeit, wenn die übrigen Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG erfüllt sind.

 

II. Bisherige Rechtsprechung

Nach bisheriger Rechtsprechung war ein Kind – obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen für dessen Berücksichtigung erfüllt waren – in den Monaten nicht zu berücksichtigen, in denen es einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachging. Der BFH war der Auffassung, ein vollzeiterwerbstätiges Kind könne typischerweise selbst für seinen existenznotwendigen Unterhalt sorgen, so dass eine Entlastung der Eltern durch Kindergeld bzw. kindbedingte Freibeträge nicht gerechtfertigt sei.

Diese Rechtsprechung wirkte sich zugunsten des Steuerpflichtigen aus, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes einschließlich der Einkünfte aus der Vollzeiterwerbstätigkeit über dem Jahresgrenzbetrag von 8.004 EUR lagen. Das Kind war dann nämlich nur für die Monate der Vollzeiterwerbstätigkeit nicht zu berücksichtigen, wenn im übrigen Zeitraum die Einkünfte und Bezüge den anteiligen Jahresgrenzbetrag nicht überstiegen.

 

III. Neue Rechtsprechung

Übersteigen die gesamten Einkünfte und Bezüge des Kindes in dem Zeitraum, in dem die gesetzlichen Voraussetzungen für die Berücksichtigung als Kind vorliegen, den Jahresgrenzbetrag nicht, stehen den Eltern Kindergeld und kinderbedingte Freibeträge unabhängig davon zu, ob es sich bei der Erwerbstätigkeit des Kindes um eine Vollzeiterwerbstätigkeit handelt.

Folgende Prüfung ist nunmehr vorzunehmen:

 

1. Ermittlung des Anspruchszeitraums

Es ist zunächst je nach Lage des Einzelfalles für jeden Kalendermonat zu prüfen, ob mindestens an einem Tag im Kalendermonat die Tatbestandsmerkmale des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG vorliegen:

a) Kinder in Berufsausbildung (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, R 32.5 EStR, DA-FamEStG 63.3.2)

  • Das Berufsziel ist noch nicht erreicht
  • Die Ausbildungsmaßnahme ist konkret berufsbezogen
  • Ernsthafte und nachhaltige Vorbereitung auf den Beruf trotz Erwerbstätigkeit

Ob das Kind sich ernsthaft und nachhaltig auf den Beruf vorbereitet, lässt sich insbesondere anhand folgender Unterlagen überprüfen:

  • Leistungs- / Prüfungsnachweise
  • BAföG-Bescheid nach erfolgter Prüfung der Leistungsvoraussetzungen
  • Nachweis oder Glaubhaftmachung des Zeitaufwandes für den Besuch der Ausbildungsstätte sowie für die häusliche Vor- und Nacharbeit

Gelangt man zu dem Ergebnis, dass die Ernsthaftigkeit der Ausbildung trotz Erwerbstätigkeit des Kindes zu bejahen ist, sind alle Einkünfte und Bezüge, einschließlich der Einkünfte aus der Erwerbstätigkeit in die Berechnung des maßgeblichen Grenzbetrages einzubeziehen.

Ist die Ernsthaftigkeit der Ausbildung wegen der Erwerbstätigkeit zu verneinen, kann das Kind für den Zeitraum der Erwerbstätigkeit nicht berücksichtigt werden (§ 32 Abs. 4 Sätze 7 ff. EStG).

b) Kinder in einer Übergangszeit von mindestens vier Monaten (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG, R 32.6 EStR, DA-FamEStG 63.3.3)

Die Erwerbstätigkeit schließt die Berücksichtigung als Kind i.S. des § 32 EStG nicht aus, wenn der Tatbestand („nicht vermeidbare Zwangspause”) erfüllt ist.

Nach alter Rechtslage war der Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG bei Vollzeiterwerbstätigkeit des Kindes pauschal ausgeschlossen, da das Kind während der Dauer der Erwerbstätigkeit seine Eltern nicht mit Unterhaltsansprüchen belastet („typische Unterhaltssituation”).

Der BFH ist von seiner Rechtsprechung zur typischen Unterhaltssituation teilweise wieder abgerückt: Es steht im Widerspruch zum Regelungszweck des § 32 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG, ein Kind für die Monate seiner Erwerbstätigkeit nicht zu berücksichtigen, obwohl es die Tatbestandsvoraussetzungen erfülle und seine gesamten Einkünfte und Bezüge, einschließlich der Einkünfte aus der Erwerbstätigkeit, den Jahresgrenzbetrag nicht überschritten.

Wird die Übergangszeit freiwillig verlängert, liegen bereits die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG („Zwangspause von maximal vier Monate”) nicht vor. Es besteht in diesem Fall für die gesamte Dauer der Übergangszeit kein Kindergeldanspruch.

c) Kinder ohne Ausbildungsplatz (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG, R 32.7 EStR, DA-FamEStG 63.3.4)

Das Kind muss eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatz nicht beginnen oder fortsetzen können. Hierbei sind folgende Varianten zu unterscheiden:

Variante A Variante B
   
Das Kind hat noch keinen Ausbildungsplatz gefunden. Dem Kind wurde ein Ausbildungsplatz zugesagt, welcher erst zu einem späterem Zeitpunkt angetreten werden kann.
   
Der angestrebte Ausbildungsplatz wäre als Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Sa...

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