Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
1. Rechtssystematische Ansätze
Rz. 43
Ziel der Hinzurechnungsbesteuerung. Die im Jahr 1972 eingeführte Hinzurechnungsbesteuerung hatte das Ziel, bestimmte Einkünfte, die eine ausländische Basisgesellschaft erzielt, den im Inland ansässigen Anteilseignern entsprechend ihrer Beteiligung anteilig als Einkünfte aus Kapitalvermögen zuzurechnen. Dabei sollten nur niedrig besteuerte Einkünfte aus passivem Erwerb in den Hinzurechnungsbetrag eingehen. Dieses Ziel gilt – auch nach der Reform der Hinzurechnungsbesteuerung durch das ATADUmsG v. 25.6.2021 – heute noch unverändert fort. Denn ausweislich der Begründung des ATADUmsG soll die "Verlagerung von passiven Einkünften ins niedrig besteuerte Ausland" verhindert und so eine Besteuerung "nicht angemessen besteuerter Gewinne" verhindert werden, und zwar "losgelöst von etwaigen Ausschüttungen". Ob indessen durch die Reform eine "zeitgemäße und rechtssichere" Hinzurechnungsbesteuerung sichergestellt wird, ist äußerst fraglich. Dies gilt beispielsweise für die Definition aktiver Einkünfte gem. § 8 Abs. 1, die durch ein äußerst komplexes Zusammenwirken von "Regel-Ausnahme", "Rückausnahme von der Ausnahme" und "Rückausnahme von der Rückausnahme" gekennzeichnet ist. Kritikwürdig ist dies umso mehr, weil die ATAD einen anderen Ansatz in Form einer positiven Auflistung von Einkünften verfolgt, die als passiv einzuordnen sind. Ferner findet immer noch der 1972 erstmalig definierte Aktivitätskatalog des § 8 Abs. 1 Anwendung, ohne den Wandel unternehmerischer Tätigkeiten von der produktionsorientierten Industrie hin zu einer Dienstleistungs- und Digitalisierungsgesellschaft zu berücksichtigen. Auch dieser Aspekt macht die Anwendung des Aktivitätskatalogs sehr schwierig, in manchen Fällen sogar unmöglich. Dies gilt vor allem für die Voraussetzung einer Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft "ohne Mitwirkung eines solches Steuerpflichtigen oder einer solchen nahestehenden Person" gem. § 8 Abs. 1 Nr. 4 und § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b. Dieses Mitwirkungskriterium ist in Zeiten einer wertschöpfungsübergreifenden, globalisierten Gruppenstruktur (häufig in Matrixstrukturen) sowie der fortschreitenden Digitalisierung des Informationsaustauschs nicht mehr zeitgemäß und praktikabel. Diskutabel war die Orientierung am Leitbild der Hinzurechnungsbesteuerung zwischenzeitlich mit Blick auf die Schwelle zur Niedrigbesteuerung gem. § 8 Abs. 5. Diese lag lange Zeit und auch nach der Reform der Hinzurechnungsbesteuerung durch das ATADUmsG unverändert bei 25 % und regte insoweit zu Diskussionen darüber an, ob tatsächlich – so die Gesetzesbegründung – "den Vorgaben der ATAD entsprochen" werde. Denn: Unter Berücksichtigung der Gewerbesteuer und des Solidaritätszuschlags beläuft sich die ertragsteuerliche Gesamtbelastung von Kapitalgesellschaften im Durchschnitt auf ca. 30 %. Sie liegt damit nur fünf Prozentpunkte über der vermeidlichen Niedrigbesteuerungsschwelle gem. § 8 Abs. 5 AStG i.d.F. ATADUmsG. Bereits insoweit wird offensichtlich, dass das Festhalten an der Niedrigbesteuerungsschwelle von 25 % einer Logik entbehrte. Und: Da die Anrechnung im Ausland entrichteter Steuern auf die Körperschaftsteuer – zumindest nach Ansicht der Finanzverwaltung – beschränkt ist, ergaben sich bei einer Steuerbelastung im Ausland von mehr als 15 % regelmäßig systematisch nicht sachgerechte Anrechnungsüberhänge, die zu einer faktischen Doppelbesteuerung führten. Dies zog Belastungswirkungen nach sich, die über ein Heraufschleusen der Besteuerung auf das deutsche Niveau hinausgingen und letztlich einer "Strafbesteuerung" gleichkamen. Zutreffend erfolgte daher die Absenkung der Niedrigbesteuerungsgrenze auf die Höhe des Körperschaftsteuersatzes i.H.v. 15 % (vgl. Rz. 42.1) mit der Folge, dass ebendiese Problembereiche jedenfalls für künftige Veranlagungszeiträume an Relevanz einbüßen. Damit wird die Hinzurechnungsbesteuerung nicht zuletzt wieder stärker ihrem ursprünglichen Sinn und Zweck einer Missbrauchsbekämpfung gerecht (vgl. Rz. 32).
Rz. 44
Keine Zurechnungs-, Durchgriffs- oder Zugriffsbesteuerung. Im Schrifttum wird die Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7 ff. häufig als Zurechnungs-, Durchgriffs- oder Zugriffsbesteuerung bezeichnet. In Anlehnung an § 15 Abs. 2 StAnpG a.F. besteht eine Durchgriffsbesteuerung, wenn die ausländische Gesellschaft selbst wie eine Organgesellschaft des Steuerinländers im Inland erfasst wird. Auch § 42 AO kann die Grundlage einer Durchgriffsbesteuerung sein. Von dieser Definition ausgehend ist die Annahme einer Durchgriffsbesteuerung für die §§ 7 ff. abzulehnen. Die §§ 7 ff. enthalten auch keine Zugriffsbesteuerung. Der BFH weist in seinem Urteil v. 28.9.1988 darauf hin, dass derartige Formulierungen nicht der Lösung von Problemen dienen, weil die §§ 7 ff. die Begriffe nicht verwenden. Die Auslegung muss von dem Wortlaut der Vorschriften ausgehen. Das BVerfG bezeichnet in einem Urteil v. 24.1.1962 den "Zugriff" durch die Kapitalgesellschaft als "...