Leitsatz
Dem EuGH werden folgende Fragen zur Auslegung der MwStSystRL vorgelegt:
1. Ist die Vermögensverwaltung mit Wertpapieren (Portfolioverwaltung), bei der ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt aufgrund eigenen Ermessens über den Kauf und Verkauf von Wertpapieren entscheidet und diese Entscheidung durch den Kauf und Verkauf der Wertpapiere vollzieht,
2. Welche Bedeutung kommt bei der Bestimmung von Haupt- und Nebenleistung dem Kriterium, dass die Nebenleistung für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen, im Verhältnis zur gesonderten Berechnung der Nebenleistung und der Erbringbarkeit der Nebenleistung durch Dritte zu?
3. Erfasst Art. 56 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL nur die in Art. 135 Abs. 1 Buchst. a bis g MwStSystRL genannten Leistungen oder auch die Vermögensverwaltung mit Wertpapieren (Portfolioverwaltung), selbst wenn dieser Umsatz nicht der zuletzt genannten Bestimmung unterliegt?
Normenkette
§ 4 Nr. 8 Buchst. e und h UStG 2005, § 3a Abs. 3, § 3a Abs. 4 Nr. 6 Buchst. a, Art. 56 Abs. 1 Buchst. e, Art. 135 Abs. 1 Buchst. f und g MwStSystRL
Sachverhalt
Eine Bank erbrachte Leistungen an Privatkunden (Anleger). Unter Berücksichtigung der vom Anleger gewählten Strategievariante verwaltete sie in dessen Namen nach eigenem Ermessen und ohne vorherige Einholung einer weiteren Weisung das Portfolio und traf alle Maßnahmen, die ihr zweckmäßig erschienen. Die Klägerin war berechtigt, über die Vermögenswerte (Wertpapiere) im Namen und für Rechnung des Anlegers zu verfügen.
Als Vergütung war eine Teilpauschale vereinbart (ein Teil für die Vermögensverwaltung und ein Anteil für den An- und Verkauf von Wertpapieren einschließlich Konto- und Depotführung) sowie die Ausgabeaufschläge für den Erwerb von Investmentanteilen einschließlich der Investmentanteile an Fonds, die durch Unternehmen der Klägerin verwaltet wurden.
Das FG bestätigte die Klägerin mit ihrem Anspruch, es handele sich um steuerfreie Leistungen (Hessisches FG, Urteil vom 22.03.2010, 6 K 1930/09, Haufe-Index 2340369, EFG 2010, 1364).
Entscheidung
Die Entscheidung des EuGH bleibt abzuwarten; angesichts der offenen Rechtsfrage zur Portfolioverwaltung kommt eine Aussetzung der Vollziehung in Betracht.
Hinweis
1. Die Vorlage betrifft im Wesentlichen die Frage, ob Banken und andere Vermögensverwalter, wenn sie für einzelne Anleger Wertpapiervermögen verwalten (sog. individuelle Portfolioverwaltung), mit diesen Leistungen der Mehrwertsteuer unterliegen. Der BFH hat dies für einen Einzelfall im Urteil vom 11.10.2007, V R 22/04 (BFH/NV 2008, 502, BFH/PR 2008, 204) verneint; die Finanzverwaltung ist anderer Auffassung und hat darauf mit einem Nichtanwendungserlass reagiert.
2. Die Beantwortung hängt wesentlich davon ab, welche Bedeutung der EuGH unter dem Aspekt der "Neutralität der Mehrwertsteuer" dem Umstand beimisst, dass für die sog. kollektive Wertpapieranlage durch Anleger, die sich an Wertpapierfonds beteiligen, eine Steuerbefreiung besteht, während die sog. individuelle Portfolioverwaltung, bei der z.B. eine Bank für einzelne Anleger Wertpapiere kauft und verkauft, nach Auffassung der Finanzverwaltung der USt unterliegen soll. Auch wird dabei zu berücksichtigen sein, dass es für die Verwaltung von Grundvermögen keine Steuerbefreiung gibt und sich für die Verwaltung von Mischvermögen ähnliche Fragen stellen werden.
3. Die dem EuGH vorgelegte Streitfrage betrifft die individuelle Portfolioverwaltung für einzelne Anleger in und außerhalb von Banken und hat dementsprechend erhebliche steuerliche Auswirkungen. Die Beantwortung der Frage durch den EuGH ist nicht nur für die Besteuerung des Vermögensverwalters selbst, sondern auch für das zivilrechtliche Verhältnis zum Anleger von Bedeutung. Sollte der EuGH die Steuerfreiheit der individuellen Portfolioverwaltung bejahen, kann für den Anleger je nach Ausgestaltung der zivilrechtlichen Preisvereinbarung ein Rückforderungsanspruch hinsichtlich eines im Preis für die Verwaltungsleistung enthaltenen Steueranteils bestehen, wenn der Vermögensverwalter dem Anleger bisher USt in Rechnung gestellt hat.
4. Fraglich war – Steuerpflicht der Vermögensverwaltung unterstellt – nach dem EuGH-Urteil vom 11.06.2009, C-572/07"Tellmer Property" (BFH/NV 2009, 1368, BFH/PR 2009, 384) weiter, ob der An- und Verkauf der Wertpapiere als Nebenleistung zur Vermögensverwaltung anzusehen ist. Im Hinblick auf die Einheitlichkeit einer Leistung aufgrund des Vorliegens von Haupt- und Nebenleistung stellt sich die Frage, welche Bedeutung dem im Urteil "Tellmer Property" betonten Umstand, dass die betreffenden (Neben-...