Leitsatz
Es wird die Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt,
ob die Änderung von § 8 Abs. 4 KStG 1996 durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29.10.1997 (BGBl I 1997, 2590, BStBl I 1997, 928) – aufgrund Neuveröffentlichung gem. § 53 Abs. 2 Nr. 2 KStG 1996 vom 22.4.1999 (BGBl I 1999, 817, BStBl I 1999, 461): § 8 Abs. 4 KStG 1999) – gegen Art. 20 Abs. 3, Art. 76 Abs. 1 GG verstößt, weil die Änderung auf einen Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses zurückzuführen ist, der den Rahmen des vom Bundestag beschlossenen Anrufungsbegehrens und des ihm zugrunde liegenden Gesetzgebungsverfahrens überschritten hat,
bejahendenfalls, ob der Verfassungsverstoß infolge der Änderung von § 8 Abs. 4 KStG 1999 in der vorgenannten Fassung durch Art. 4 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften (StÄndG 2001) vom 20.12.2001 (BGBl I 2001, 3794, BStBl I 2002, 4) rückwirkend geheilt worden ist.
Normenkette
8 Abs. 4 KStG 1996/1999, Art. 20 Abs. 3, Art. 76 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten um den Abzug von Verlustvorträgen. Der Geschäftsbetrieb der Klägerin, einer GmbH, war im Jahr 1998 nahezu vollständig zum Erliegen gekommen. Die Klägerin beschäftigte sich nur noch mit der Abwicklung der Altforderungen und Altverbindlichkeiten sowie dem Halten von Beteiligungen an anderen Firmen.
Gesellschafter der Klägerin waren Anfang des Streitjahrs 2000 eine slowakische Kapitalgesellschaft (A) mit 77,78 % und die deutsche W-KG mit 22,22 % der Anteile. Alleiniger Gesellschafter beider Gesellschaften war W. Am 19.7.2000 kaufte W von der A sämtliche (von dieser seit 1999 gehaltenen) Geschäftsanteile an der Klägerin. Die Klägerin ihrerseits hatte bereits mit Vertrag vom 15.6.2000 von ihrem Gesellschafter-Geschäftsführer W zum 1.7.2000 dessen 100%igen Kommanditanteil an der P-KG erworben. Aus dieser Beteiligung erzielte die Klägerin in 2000 und in den Folgejahren erhebliche Gewinne.
Die Klägerin erklärte zum 31.12.2001 unter Berücksichtigung eines Verlustabzugs einen verbleibenden Verlustvortrag zur KSt.
Das FA ließ den Abzug der festgestellten Verluste unter Hinweis auf § 8 Abs. 4 KStG 1999 nicht zu.
Die Klage gegen die hiernach geänderten Steuerbescheide blieb erfolglos (EFG 2006, 1277).
Entscheidung
Der BFH sah das FA in der eigentlichen Streitfrage an sich im Recht: Nach § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1999 komme für den Verlust der wirtschaftlichen Identität einer Kapitalgesellschaft es in der Tat nicht darauf an, ob zunächst – in einem 1. Schritt – die schädliche Anteilsübertragung von mehr als der Hälfte der Anteile stattfinde und sodann – in einem 2. Schritt – überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt werde. Diese Reihenfolge sei üblich, jedoch nicht zwingend. Denn das Gesetz verlange keine zeitliche Reihenfolge. So gesehen sei die Klage ab- und die Revision zurückzuweisen.
Ein solches Verlangen einer Zeitreihenfolge stelle jedoch die vorherige Fassung des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 a.F., wo von einem verräterischen "danach" zwischen beiden schädlichen Teilakten die Rede sei. Zwar belasse § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG auch nach dieser Regelungslage die Möglichkeit, den Verlust der wirtschaftlichen Identität losgelöst von dem Regelbeispiel in Satz 2 der Vorschrift annehmen zu können. Dazu bedürfe es jedoch positiver Feststellungen einer "konzertierten Aktion" zwischen Anteilsveräußerer und Anteilsübernehmer, woran es hier fehle. So gesehen wäre der Klage wiederum stattzugeben und hätte deswegen die Revision Erfolg.
Nun war § 8 Abs. 4 KStG 1996 a.F. in den Streitjahren 2000 bis 2002 zweifelsfrei nicht mehr gültig und anwendbar. Es könnte sich aber anders verhalten, falls die Nachfolgefassung des § 8 Abs. 4 KStG 1999 verfassungswidrig und ihrerseits unanwendbar sei. Letzteres sei wegen des Verstoßes gegen den Parlamentsvorbehalt durchaus möglich. Alles Weitere dazu lässt sich den Praxis-Hinweisen entnehmen.
Hinweis
1. In BFH-PR 2002, 77 wurde Ihnen der Vorlagebeschluss des BFH an das BVerfG vom 18.7.2001, I R 38/99 vorgestellt. Dieser basierte auf dem vorangegangenen Beitrittsaufforderungsbeschluss an das BMF vom 29.11.2000, I R 38/99, der wiederum in BFH-PR 2001, 120 dargestellt worden ist.
Beide Beschlüsse bezogen sich auf die Frage danach, ob die ersatzlose Streichung von § 12 Abs. 2 S. 4 UmwStG 1995 durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29.10.1997 (BGBl I 1997, 2590) in formal verfassungsmäßiger Weise zustande gekommen ist. Das war nach Überzeugung des I. Senats des BFH nicht der Fall.
Grund hierfür war der Umstand, dass das parlamentarische Initiativrecht unterlaufen worden sein könnte, stammte die "Idee", die besagte Vorschrift zu streichen, doch nicht aus dem Bundestag als dem eigentlichen parlamentarischen Gesetzgeber, sondern wurde sie stattdessen im Vermittlungsausschuss"geboren".
Wäre § 12 Abs. 3 Satz 2 UmwStG 1995 infolgedessen verfassungswidrig, dann bliebe es bei der vorangegangenen, "steuerpflichtigenfreundlicheren" Regelung des § 12 Abs...