Dr. Hans Joachim Herrmann
Leitsatz
1. Der vorlegende I. Senat möchte nicht mehr an der bisherigen Rechtsprechung des BFH festhalten, nach der der Gewinnanspruch gegen ein verbundenes Unternehmen mit gleichem → Wirtschaftsjahr phasengleich zu bilanzieren ist, an dem das ausschüttungsberechtigte Unternehmen mehrheitlich beteiligt ist.
2. Der vorlegende Senat geht davon aus, daß ein Dividendenanspruch des Gesellschafters als aktivierbares → Wirschaftsgut erst in dem Zeitpunkt entsteht, in dem die Gesellschafterversammlung des Beteiligungsunternehmens eine entsprechende → Gewinnausschüttung beschließt. Der Gewinnverwendungs-beschluß des beherrschten Unternehmens begründet erst dann den Gewinnanspruch; nicht etwa „erhellt” er lediglich die bereits am Bilanzstichtag gegebene Situation.
3. Auch ein Mehrheitsgesellschafter darf und muß daher einen Gewinnanspruch erst zu demjenigen Bilanzstichtag aktivieren, der dem Gewinnverwendungsbeschluß nachfolgt.
4. Eine solche zeitverschobene Aktivierung des Gewinnanspruchs entspricht dem steuerrechtlichen Grundsatz, gerade bei Beherrschungsverhältnissen immer nur an klar und eindeutig im voraus gestaltete Tatbestände anzuknüpfen. Diese Erwägung rechtfertigt es, von der Rechtsprechung des BGH und EuGH zum Fall Tomberger abzuweichen, die eine Pflicht zur phasengleichen Bilanzierung „jedenfalls” bei einer hundertprozentigen Beteiligung bejaht zu haben.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 16.12.1998, I R 50/95
Anmerkung:
Im Entscheidungsfall strebt die Muttergesellschaft eine phasengleiche Bilanzierung ihres Gewinnanspruchs gegen die Tochtergesellschaft an, um den Beteiligungsgewinn mit eigenen, nur im Streitjahr noch berücksichtigungsfähigen Verlusten zu verrechnen. Sie besaß im Jahre 01 einen noch ausgleichsfähigen Verlust. Ihre Tochtergesellschaft hat jedoch die Ausschüttung ihres Gewinns des Jahres 01 erst im Laufe des Jahres 02 beschlossen, mit der Folge, daß der Gewinnanspruch der Muttergesellschaft erst im Jahre 02 entstanden und aktivierbar war.
Die Frage der phasengleichen oder zeitversetzten Bilanzierung des Gewinnanspruchs beschäftigt seit langem die Zivil- und Steuergerichte. Sie hat Bedeutung nicht nur für durch Mehrheitsbeteiligungen verbundene Unternehmen, sondern auch für die → Betriebsaufspaltung . Der obige Vorlagebeschluß kündigt einen Wandel in der Steuerrechtsprechung dahin an, eine phasengleiche Bilanzierung ganz aufzugeben und den Gewinnanspruch bei der Muttergesellschaft erst in dem Wirtschaftsjahr zu aktivieren, in dem die Tochtergesellschaft über die Gewinnverwendung beschlossen hat (vgl. auch Gruppe 3 S. 72). Dennoch verbliebe der Muttergesellschaft einer GmbH ein Gestaltungswahlrecht zur phasengleichen Erfassung des Gewinns, indem sie bei dem beherrschten Unternehmen einen Beschluß über eine Vorabausschüttung bewirkt.