Leitsatz
Vororganschaftlich verursachte Mehrabführungen einer Organgesellschaft an ihren Organträger stellen keine Gewinnausschüttungen i.S.d. §§ 8 Abs. 3, 27 KStG 1996, sondern Gewinnabführungen i.S.d. §§ 14 ff. KStG 1996 dar (Abweichung von Abschn. 59 Abs. 4 Satz 3 KStR 1995). Nichts anderes ergibt sich aus § 37 Abs. 2 Satz 2 bzw. § 41 KStG 1996.
Normenkette
§ 8 Abs. 3 KStG 1996 , § 14 Satz 1 Nr. 5 KStG 1996 , § 27 Abs. 3 KStG 1996 , § 28 KStG 1996 , § 30 Abs. 2 Nr. 4 KStG 1996 , § 36 KStG 1996 , § 37 Abs. 2 KStG 1996 , § 41 KStG 1996 , § 291 Abs. 1 AktG , § 300 AktG , § 301 AktG
Sachverhalt
Die Klägerin schloss im September 1991 mit der T-AG einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, der seit dem 1.10.1990 steuerlich wirksam ist. Die Klägerin war demnach in den Jahren 1995 und 1996 Organgesellschaft der T-AG.
Bereits vor dem Wirksamwerden des vorgenannten Vertrags hatte sie handelsbilanziell Rückstellungen für Gnadengehälter und Jubiläumsgelder gebildet. Aufgrund des sog. Nachholverbots für Gnadengehälter bzw. des § 5 Abs. 4 EStG wichen im Hinblick auf diese Rückstellungen die steuerbilanziellen Ansätze und Ergebnisse in der vororganschaftlichen Zeit von denen in der Handelsbilanz ab. In organschaftlicher Zeit verringerte sich die handelsbilanzielle Gnadenrückstellung stetig, so dass es zu handelsbilanziellen Mehrergebnissen und – abführungen kam.
Das FA behandelte die vorgenannten an die T- AG abgeführten handelsbilanziellen Mehrergebnisse gem. Abschn. 59 Abs. 4 Satz 3 KStR 1995 als andere Ausschüttungen i.S.d. § 27 Abs. 3 KStG 1996 und stellte dementsprechend bei der Klägerin die körperschaftsteuerliche Ausschüttungsbelastung gem. § 27 KStG 1996 her.
Das FG sah das im Grundsatz wie das FA (EFG 2001, 917).
Entscheidung
Der BFH schlug sich demgegenüber auf die Seite der Klägerin. Er deklinierte alle denkbaren Aspekte durch, nach denen sich möglicherweise die Annahme einer Gewinnausschüttung hätte rechtfertigen lassen und verneinte selbige: § 291 Abs. 1 AktG verpflichte zur Abführung des "ganzen Gewinns" während eines Organschaftsverhältnisses, wobei nicht zwischen vororganschaftlich oder organschaftlich verursachten Gewinnen unterschieden werde. Weder aus §§ 27 ff. oder § 41 KStG a.F. noch aus § 37 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 28 Abs. 3 KStG a.F. folge etwas anderes. Die Ausschüttungsbelastung sei folglich auch nicht herzustellen.
Hinweis
1. Schaut man sich das Urteil des BFH vom 13.11.2002, I R 9/02 an (in diesem Heft auf S. 183), dann weiß man, dass Gewinnausschüttungen und Gewinnabführungen zweierlei sind. Diese Erkenntnis wird im Urteilsfall (und in den in diesem Zusammenhang ergangenen beiden weiteren, amtlich nicht veröffentlichten Urteilen vom 18.12.2002, I R 50/01, I R 68/01) fortgeführt:
Divergieren die Gewinne nach Handels- und Steuerbilanz und resultieren diese Divergenzen aus vororganschaftlicher Zeit, dann basiert die Zurechnung der dadurch verursachten Mehrgewinne beim Organträger auf Gewinnabführungen und nicht auf Gewinnausschüttungen. Denn an den Organträger abzuführen ist infolge der Organschaft der "gesamte Gewinn" (vgl. § 291 Abs. 1 AktG) des laufenden Geschäftsjahrs, wobei zwischen vororganschaftlichen und organschaftlichen Geschäftsvorfällen nicht differenziert wird (und nicht werden kann). Daran knüpfen die Organschaftsregeln der §§ 14 ff. KStG an. Insoweit gilt steuerlich nichts anderes als handelsrechtlich.
Namentlich lassen sich die Mehrabführungen nicht, wie aber die Finanzverwaltung bislang annimmt (vgl. Abschn. 59 Abs. 4 KStR 1995), als "andere Ausschüttungen" i.S.d. § 27 Abs. 3 Satz 2 KStG a.F. umqualifizieren. Das scheitert schon daran, dass der hierfür erforderliche tatsächliche Vermögensabfluss fehlen kann, z.B. in Verlustfällen. Außerdem wäre es praktisch wie gedanklich kaum durchführbar, die vororganschaftlich verursachten Teilbeträge zu isolieren und innerhalb der unterschiedslos vorgenommenen Gewinnabführungen über mehrere Jahre hinweg nachzuverfolgen.
2. Wesentliche Konsequenz: Es war unter der Ägide des KSt-Anrechnungsverfahrens auf die besagten Mehrabführungen keine Ausschüttungsbelastung gem. § 27 Abs. 1 KStG a.F. herzustellen. Das ist von Vorteil, wenn es hiernach bislang zur KSt-Erhöhung kam, jedoch von Nachteil, wenn die bisherige Problembehandlung durch die Finanzverwaltung zur KSt-Erstattung oder zur KSt-Anrechnung führte. Im letzteren Fall muss sich die Organgesellschaft mit einer definitiven (und oftmals hohen) Belastung anfreunden (es sei denn, sie entscheidet sich für das sog. Leg-ein-Hol-zurück-Verfahren, mittels dessen sich KSt-Guthaben "mobilisieren" lassen, s. BFH-Urteil vom 8.8.2001, I R 25/00, BFH-PR 2002, 140). Ggf. bleibt derart betroffenen Steuerpflichtigen in Einzelfällen auch die Möglichkeit, für sich über § 176 Abs. 2 AO Vertrauensschutz zu reklamieren, weil ein oberes Bundesgericht eine bislang verbindliche Verwaltungsregelung über Bord geworfen hat.
3. Ganz konkrete praktische Konsequenzen hat diese Entscheidung insbesondere für ehemals gemeinnützige ...