Leitsatz
Haben sich Ehegatten durch gemeinschaftliches Testament oder Erbvertrag gegenseitig als Erben und Verwandte als Schlusserben eingesetzt, ist das beim Tod des länger lebenden Ehegatten dem Wert nach noch vorhandene Vermögen des zuerst verstorbenen Ehegatten im Rahmen der Bindungswirkung der getroffenen Verfügungen erbschaftsteuerrechtlich nach § 15 Abs. 3 ErbStG vorrangig und ohne weitere Quotelung den mit dem Erstverstorbenen näher verwandten Schlusserben zuzuordnen.
Normenkette
§ 6 Abs. 2, § 15 Abs. 3 ErbStG, § 2269, § 2280 BGB
Sachverhalt
Die Eheleute M und F hatten einen Erbvertrag geschlossen, aufgrund dessen die F Alleinerbin des vorverstorbenen M wurde. Schlusserben sollten die Klägerin als Nichte und ihr Bruder als Neffe des M zu je ¼ sowie Verwandte der F hinsichtlich der restlichen Hälfte sein. Das beim Tod der F vorhandene Vermögen stammte je zur Hälfte von M und von F.
Das FA nahm an, da der 1/4-Erbanteil vermögensmäßig zur Hälfte von M und von F herrühre, sei die Klägerin nur i.H.v. 1/8 des Werts des Nachlasses der F als Erbin des M anzusehen. Demgegenüber war die Klägerin der Ansicht, sie sei hinsichtlich ihres gesamten ¼-Anteils als Erbin nach M zu besteuern.
Entscheidung
Der BFH gab der Klägerin recht. Der zivilrechtliche Ansatz des FA widerspreche der Regelung des § 15 Abs. 3 ErbStG.
Hinweis
Zivilrechtlich sind die Schlusserben aufgrund eines gemeinschaftlichen Testaments nach Maßgabe des § 2269 Abs. 1 BGB Erben des überlebenden Ehegatten. Darin gleicht ihre Stellung derjenigen eines Nacherben im Erbschaftsteuerrecht (§ 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG). Ist das Vermögen des vorverstorbenen Ehegatten beim Tod des überlebenden (teilweise) noch vorhanden, kann bei einer angeordneten Nacherbschaft der Nacherbe gem. § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG wählen, ob der Besteuerung dieses Vermögens das Verhältnis zum ursprünglichen Erblasser zugrunde gelegt werden soll oder nicht. Diese Wahlfreiheit hat der Schlusserbe i.S.d. § 2269 BGB nicht. § 15 Abs. 3 ErbStG schreibt vielmehr zwingend vor, dass die Besteuerung der Erben, die mit dem vorverstorbenen Ehegatten näher verwandt sind als mit dem überlebenden, bzgl. des noch vom vorverstorbenen Ehegatten stammenden Vermögens nach dem Verwandtschaftsverhältnis zu diesem zu erfolgen hat.
Reicht bei einer Mehrheit von Schlusserben das vom vorverstorbenen Ehegatten stammende Vermögen aus, um die Erbquote des oder der Miterben mit näherer Verwandtschaft zum vorverstorbenen Ehegatten auszuschöpfen, ist die Versteuerung so vorzunehmen, als wäre dieses Vermögen ausschließlich den näher verwandten Schlusserben zugefallen. Insoweit verdrängt § 15 Abs. 3 ErbStG die zivilrechtliche Sicht der Vermögensnachfolge, wonach sich die Erbquote eines jeden der mehreren Schlusserben auf den gesamten (einheitlichen) Nachlass des überlebenden Ehegatten bezieht.
Bei Anordnung einer Nacherbschaft stellt das der Nacherbschaft unterliegende Vermögen dagegen bereits zivilrechtlich ein Sondervermögen dar, und zwar auch schon in der Hand des Vorerben. Hier weicht das Erbschaftsteuerrecht in einem früheren Stadium vom Zivilrecht ab, nämlich mit der oben erwähnten Regelung des § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG, wonach der Nacherbe zunächst einmal Erbe des Vorerben ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 27.08.2008 – II R 23/06