Mit der größten Mehrwertsteuerreform seit 25 Jahren verfolgt die Europäische Kommission seit einigen Jahren eine schrittweise Modernisierung des europäischen Mehrwertsteuerrechts hin zu einem endgültigen einheitlichen europäischen Mehrwertsteuersystem (vgl. "Aktionsplan im Bereich der Mehrwertsteuer" aus 2016). Im Folgenden geben wir einen kurzen Überblick über diese Planungen und – nur teilweisen – Umsetzungen sowie zu der Frage, wie sich die "ViDA-Maßnahmen" in diesen Kontext einfügen.
Das wesentliche Ziel der geplanten Reform bestand darin, grenzüberschreitende Lieferungen von Gegenständen innerhalb der Union zukünftig wie Inlandsumsätze im Bestimmungsmitgliedstaat nach dem dort geltenden Steuersatz zu besteuern (statt des vor dem Aktionsplan noch anvisierten Herkunftslandprinzips). Die für das Bestimmungslandprinzip erforderliche Registrierung des Lieferers im Bestimmungsmitgliedstaat sollte dann durch Steuererklärungen in einem OSS-Verfahren vermieden werden. Bis 2022 sollte zunächst die Besteuerung von innergemeinschaftlichen Lieferungen entsprechend umgestellt werden und der Leistende grundsätzlich der Steuerschuldner dieser (neuen) Inlandslieferung sein und die Mehrwertsteuer dann in seinem Ansässigkeitsstaat über einen One-Stop-Shop anmelden. In einem zweiten legislativen Schritt sollte diese Mehrwertsteuerbehandlung auf alle grenzüberschreitenden Lieferungen und auch auf Dienstleistungen ausgeweitet werden. Das Reverse-Charge-Verfahren würde sich dann für solche Dienstleistungen erübrigen. Über die Umsetzung dieses zweiten Gesetzgebungsschritts wollte die Kommission nach einer Prüfung der ersten Phase fünf Jahre später entscheiden. Nach der ursprünglichen Planung wäre das ca. 2028.
Zu diesen Maßnahmen ist es bisher nicht gekommen, d.h. der Besteuerungsort für grenzüberschreitende Lieferungen liegt derzeit nach wie vor vom Grundprinzip her dort, wo die Warenlieferung beginnt, und diese Lieferungen können im Abgangsstaat ggf., d.h. unter nachzuweisenden Voraussetzungen, den üblichen Steuerbefreiungen unterliegen (es kann nach den nach wie vor gültigen Regelungen unter bestimmten Bedingungen auch zu Verlagerungen des Steuerorts in andere Länder kommen).
Mit Wirkung zum 1.1.2020 sind die folgenden, als nur vorläufige Lösungen angedachten Sofortmaßnahmen (sog. Provisorien/"Quick Fixes") eingeführt worden, mit denen das derzeitige Mehrwertsteuersystem bis zur Einführung des endgültigen Systems verbessert werden sollte:
- Notwendigkeit der Verwendung der USt-IdNr. des Abnehmers als (angeblich) materiell-rechtliche Voraussetzung für die Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen.
- Pflicht zur Abgabe der richtigen und vollständigen Zusammenfassenden Meldung (ZM). Diese Regelung (bzw. die ZM als solche insgesamt) soll im Zuge von ViDA bereits wieder abgeschafft werden (nach derzeitiger Planung mit Wirkung zum 1.1.2028).
- Einheitliche Regelungen zur Zuordnung der Warenbewegung bei innergemeinschaftlichen Reihengeschäften soweit ein Steuerpflichtiger in der Mitte der Lieferkette die Gegenstände selbst oder auf seine Rechnung durch einen Dritten versendet oder befördert (sog. Zwischenhändler, Art. 36a MwStSystRL).
- Einheitliche Regelungen über Belegnachweise bei innergemeinschaftlichen Lieferungen (vgl. § 31a UStDV n.F./Gelangensvermutung). Diese Regelung ist nach unserem Eindruck in der Praxis nicht auf Akzeptanz gestoßen. Rechtlich hat Deutschland den Steuerpflichtigen die Möglichkeit vorbehalten, stattdessen auch weiterhin die bereits vorher zulässigen Belegnachweise zu verwenden (vgl. § 17b UStDV n.F.).
- Vereinfachungen bei innergemeinschaftlichen Warenlieferungen über Konsignationslager (zur Vermeidung einer Registrierung im Zielland wegen eines Verbringens mit einer anschließenden Inlandslieferung (vgl. § 6b UStG). Diese Regelung soll im Zuge von ViDA zum Ende 2025 wieder abgeschafft werden.
Mit Wirkung zum 1.7.2021 ist zudem (die zweite und letzte Stufe) des MwSt-Digitalpakets in Kraft. Dieses bezieht sich auf "Fernverkäufe" (vormals "Versandhandel" genannt) für bestimmte grenzüberschreitende Lieferungen im B2C-Bereich (d.h. an Endverbraucher). Zur Vereinfachung dürfen diese Umsätze einheitlich in einem One-Stop-Shop-Verfahren (OSS-Verfahren, vormals Mini-One-Stop-Shop) in nur einem EU-Mitgliedstaat erklärt werden. Dadurch können die Unternehmen die Registrierung für mehrwertsteuerrechtliche Zwecke in den (anderen) Bestimmungsmitgliedstaaten vermeiden.
Im Rahmen des zweiten MwSt-Digitalpakets wurden zudem elektronische Marktplätze (sog. elektronische Schnittstellen) unter bestimmten Bedingungen umsatzsteuerrechtlich fiktiv in die Liefer-/Umsatzkette eingebunden (in Bezug auf die über diese Schnittstellen vertriebenen Waren). Die Schnittstellen werden insofern umsatzsteuerrechtlich so behandelt, als ob sie die Gegenstände selbst geliefert hätten, auch wenn sie schuldrechtlich nicht die Verkäufer der Ware sind (diese umsatzsteuerrechtliche Fiktion ist beschränkt auf aus dem D...