Sollte der Vorschlag der Europäischen Kommission in dieser Form umgesetzt werden, würde eine neue fiktive Leistungskette nach Art einer Leistungskommission geschaffen, die allerdings dem Besteuerungsortprinzip von Vermittlungsleistungen folgen soll, soweit es sich beim Kunden um eine nichtsteuerpflichtige Person handelt. Systematisch sinnvoller erschiene es demgegenüber, hier von einer Leistungskommission auszugehen und den gewünschten Besteuerungsort entsprechend gesetzlich zu regeln. Ob der Besteuerungsort für Vermittlungsleistungen hier überhaupt zu relevanten Unterschieden gegenüber der Leistungskommission führen würde, erscheint ohnehin zweifelhaft (zumindest aus Sicht des deutschen Umsatzsteuerrechts). Als Ort der "Vermittlerdienstleistung" des Plattformbetreibers an eine nichtsteuerpflichtige Person soll der Ort gelten, an dem der zugrunde liegende Umsatz bewirkt wird. Nach Art. 48 MwStSystRL ist eine Personenbeförderungsleistung an dem Ort zu besteuern (bewirkt), an dem die Beförderung nach Maßgabe der zurückgelegten Beförderungsstrecke jeweils stattfindet (und zwar unabhängig vom Status des Leistungsempfängers). Die fraglichen Vermietungsleistungen würden als Dienstleistungen im Zusammenhang mit einem Grundstück betrachtet und an dem Ort bewirkt, an dem das Grundstück gelegen ist (ebenfalls unabhängig vom Status des Leistungsempfängers). Im Falle einer Leistungskommission sollte die jeweilige Dienstleistung (wenn auch nicht als Vermittlungsleistung) den vorgenannten Ortsregelungen folgend an den gleichen Orten wie die "Vermittlungsleistung" besteuert werden. Die neu vorgeschlagene Ortsregelung für die "Vermittlungsleistungen" an Nichtsteuerpflichtige dürfte demnach zu keinen anderen Ergebnissen führen, als die Anwendung der allgemeinen Ortsregelungen für Leistungskommissionen (derzufolge die im eigenen Namen erbrachte Leistung des Kommissionärs denjenigen Besteuerungsregelungen folgt, welche auch für die jeweilige Dienstleistung gelten – Vermietung/Beförderung).
In praktischer Hinsicht müssten Plattformbetreiber in Zukunft zudem klären, ob sie die Erbringung der von der Neuregelung erfassten Leistung – unter Beachtung der definierten Rückausnahmen – entsprechend "unterstützen" und ob der Status des Dienstleistungserbringers zur Anwendung der fiktiven Leistungskette führt. Kommt es zur Anwendung der fiktiven Leistungskette, muss der Plattformbetreiber seine Steuerfindung und damit auch seine Abrechnungsprozesse umstellen. Zu beachten ist dabei, dass der Plattformbetreiber nunmehr gegenüber dem Kunden und nicht mehr gegenüber dem Dienstleistungserbringer abrechnen muss.
Es ist absehbar, dass die drohende Inanspruchnahme des Plattformbetreibers, wenn dieser fälschlicherweise von der Nichtanwendung der fiktiven Leistungskette ausgeht, zu Streitigkeiten mit der Finanzverwaltung führen werden. Insbesondere ist zu befürchten, dass die Finanzverwaltung einen sehr strengen Maßstab anwenden wird, wenn es um die Frage geht, ob der Plattformbetreiber nachweisen kann, dass er nicht wusste und nach vernünftigem Ermessen nicht wissen konnte, dass die Angaben falsch waren.
Schließlich scheint uns die Einführung der fiktiven Leistungskette bei kurzfristiger Unterkunftsvermietung und Personenbeförderung insgesamt problematisch zu sein. So würde die Neuregelung im Ergebnis dazu führen, dass für die betroffenen Dienstleistungen die Kleinunternehmerregelung faktisch ausgehebelt würde, in dem der Kunde des Kleinunternehmers nunmehr mit Mehrwertsteuer belastet würde. Hinzu kommt, dass dem Kleinunternehmer auch keine Vorsteuer zustehen würde, angesichts seiner steuerfreien Leistung an den Plattformbetreiber; insofern wird er womöglich freiwillig zur Mehrwertsteuer "optieren" und die Kleinunternehmerregelung läuft ins Leere. Nach Ansicht der Europäischen Kommission handelt es sich bei dem Modell des fiktiven Dienstleistungserbringers um eine "Vereinfachungsmaßnahme", mit der die Erhebung der Mehrwertsteuer in bestimmten Situationen erleichtert werden solle. Dies sei – so die Europäische Kommission – in der Regel der Fall, wenn der Vermittler eines Umsatzes (d.h. die Plattform) besser als der zugrunde liegende Dienstleistungserbringer sicherstellen kann, dass die für diesen Umsatz geschuldete Mehrwertsteuer erhoben werde, weil es für den zugrunde liegenden Dienstleistungserbringer zu aufwendig wäre, die Mehrwertsteuer zu erheben (z.B. bei Kleinunternehmern). Sinn und Zweck der Kleinunternehmerregelung – als Vereinfachungsmaßnahme – ist es gerade, die Steuer bei diesen nicht zu erheben. Insofern bedarf es auch keiner Maßnahmen bezüglich der Sicherstellung der Erhebung der Mehrwertsteuer. Auch der Bundesrat steht diesem Vorschlag der Europäischen Kommission kritisch gegenüber. So wird die von der Europäischen Kommission als Begründung vorgetragene Wettbewerbsverzerrung nicht in dem Umfang vom Bundesrat wahrgenommen, der eine solche Regelung erforderlich machen würde.