Leitsatz
Die Vorschrift des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG, nach der der Unternehmer die Steuer für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen für sein Unternehmen als Vorsteuer abziehen kann, gilt bei richtlinienkonformer Auslegung nicht für den Fall, dass der Unternehmer im Mitgliedstaat der Identifizierung mehrwertsteuerpflichtig ist, weil er die Besteuerung des fraglichen innergemeinschaftlichen Erwerbs im Mitgliedstaat der Beendigung des Versands oder der Beförderung nicht nachgewiesen hat.
Normenkette
§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 1 Abs. 1 Nr. 5, § 1a Abs. 1, § 3d S. 1 und 2, § 17 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 Nr. 4 UStG 1999, Art. 17 Abs. 2 Buchst. d, Art. 28a Abs. 1 Buchst. a, Art. 28b Teil A Abs. 1, Abs. 2 Unterabs. 1 und 2 der 6. EG-RL
Sachverhalt
Die in Deutschland ansässige Klägerin kaufte im Streitjahr 2000 unter Verwendung ihrer deutschen USt-IdNr. von italienischen Unternehmern Mobiltelefone. Sie veräußerte diese an italienische Abnehmer, wobei die Ware teilweise nach Österreich verbracht wurde und teilweise in Italien verblieb.
Die Klägerin gab in ihrer USt-Erklärung steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen und steuerpflichtige innergemeinschaftliche Erwerbe an. Die Steuer für die innergemeinschaftlichen Erwerbe zog sie als Vorsteuer ab.
Das FA behandelte in einem Änderungsbescheid die erklärten steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen als steuerpflichtig.
Das Sächsische FG gab der Klage statt und hob den Änderungsbescheid auf:
Die Klägerin habe – wie sich im Klageverfahren ergeben habe – im Inland keine Lieferungen ausgeführt, sodass insoweit auch keine USt entstanden sei.
Soweit die von ihr erworbenen Mobiltelefone von Italien nach Österreich verbracht worden seien, liege ein in Deutschland steuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb vor, weil die Klägerin ihre deutsche USt-IdNr. verwendet habe. Die dadurch entstandene USt könne als Vorsteuer abgezogen werden (Sächsisches FG, Urteil vom 15.10.2008, 8 K 1490/07, Haufe-Index 2125597, EFG 2009, 1423).
Entscheidung
Die Revision des FA führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das FG.
Der BFH bejahte – ebenso wie das FG – einen steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb im Inland insoweit, als die Mobiltelefone von Italien nach Österreich geliefert worden sind.
Da dieser innergemeinschaftliche Erwerb aber nur deshalb in Deutschland steuerpflichtig sei, weil die Klägerin ihre deutsche USt-IdNr. verwendet und eine Besteuerung in Österreich als dem Endverbrauchsmitgliedstaat nicht nachgewiesen habe, sei unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils X und Facet Trading BV – das im Zeitpunkt der Entscheidung des FG noch nicht vorgelegen hat – der Vorsteuerabzug entgegen der Rechtsauffassung des FG zu versagen.
Die Sache war nicht spruchreif, da das FG noch keine Feststellungen dazu getroffen hatte, in welchem Umfang die von der Klägerin gekauften Mobiltelefone von Italien nach Österreich verbracht worden waren.
Hinweis
1. Gem. § 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG unterliegt der USt der innergemeinschaftliche Erwerb im Inland gegen Entgelt.
Nach § 1a Abs. 1 UStG liegt ein innergemeinschaftlicher Erwerb u.a. vor, wenn bei einer Lieferung ein Gegenstand an den Abnehmer (Erwerber) aus dem Gebiet eines Mitgliedstaats in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats gelangt, der Erwerber ein Unternehmer ist und der Lieferer die Lieferung im Rahmen seines Unternehmens entgeltlich ausführt.
Der Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbs wird in § 3d UStG geregelt. Nach S. 1 dieser Vorschrift wird der innergemeinschaftliche Erwerb in dem Gebiet des Mitgliedstaats bewirkt, in dem sich der Gegenstand am Ende der Beförderung oder Versendung befindet. Verwendet der Erwerber gegenüber dem Lieferer jedoch eine ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilte USt-Identifikationsnummer (USt-IdNr.), gilt nach S. 2 der Vorschrift der Erwerb so lange in dem Gebiet des Mitgliedstaats als bewirkt, bis der Erwerber nachweist, dass der Erwerb durch den in S. 1 bezeichneten Mitgliedstaat besteuert worden ist. § 3d UStG beruht auf Art. 28b Teil A der 6. EG-RL.
Aufgrund der Verwendung einer deutschen USt-IdNr. ist es also möglich, dass bei einem Erwerb durch einen in Deutschland ansässigen Unternehmer ein innergemeinschaftlicher Erwerb im Inland vorliegt und somit in Deutschland USt entsteht, obwohl die gehandelte Ware sich zu keinem Zeitpunkt in Deutschland befunden hat.
2. Nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG kann der Unternehmer die Steuer für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen für sein Unternehmen als Vorsteuer abziehen.
Bei einer dem weiten Wortlaut dieser Vorschrift entsprechenden Verständnis kann auch derjenige Unternehmer, der nur deshalb im Inland einen innergemeinschaftlichen Erwerb getätigt hat, weil er seine inländische USt-IdNr. verwendet hat, die von ihm für diesen Erwerb geschuldete Steuer als Vorsteuer abziehen.
Der EuGH hat jedoch mit Urteil vom 22.04.2010, C-536/08 und C-539/08 – X und Facet Trading BV – (BFH/NV 2010,1225, BFH/PR 2011, 491) entschieden, da...