Dipl.-Finw. (FH) Helmut Lehr
Leitsatz
Schrottlieferungen eines sog. Strohmanns (Schreiber) berechtigen den Abnehmer zum Vorsteuerabzug, sofern dieser die Strohmann-Eigenschaft des Leistenden nicht erkennen konnte und musste.
Sachverhalt
Der Antragsteller betreibt seit 1996 ein Reise- und Handelsgewerbe mit Schrott. Seit Mitte des Jahres 2007 bestanden Geschäftsbeziehungen zu F. In den streitbefangenen Rechnungen wird über Schrottlieferungen an den Antragsteller abgerechnet. Als leistender Unternehmer ist "F, Schrott- und Metallhandel", mit vollständiger Anschrift und Steuernummer benannt. Dieser hat auf den Rechnungen quittiert, den jeweiligen Rechnungsbetrag erhalten zu haben. Das Finanzamt versagte den Vorsteuerabzug mit der Begründung, dass F kein Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG sei, vielmehr werde er von Schrotthändlern als sog. Schreiber genutzt. Dies sei für den Antragsteller zu erkennen gewesen und er hätte auch wissen müssen, dass die in den Rechnungen bescheinigten Beträge in einen Umsatzsteuerbetrug einbezogen seien.
Entscheidung
Das Finanzgericht hält den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Antragstellers für begründet. Nach summarischer Prüfung bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des entsprechenden Steuerbescheids. Generell kann auch ein "Strohmann" leistender Unternehmer sein. Unbeachtlich ist ein vorgeschobenes Strohmanngeschäft nur dann, wenn es lediglich zum Schein abgeschlossen wird, d. h. wenn die Vertragsparteien einverständlich oder stillschweigend davon ausgehen, dass die Rechtswirkungen des Geschäfts gerade nicht zwischen ihnen, sondern zwischen dem Leistungsempfänger und dem "Hintermann" eintreten sollen. Belastbare Anhaltspunkte und Auffälligkeiten dafür, dass der Antragsteller erkennen konnte und musste, dass es sich bei dem Lieferanten F um einen bloßen "Schreiber" handelte, wurden vom Finanzamt offenbar nicht vorgetragen. So war der Lieferant offensichtlich bei allen Lieferungen zugegen und hat den Rechnungsbetrag auch persönlich entgegen genommen. Aufgrund welcher Umstände der Antragsteller erkennen musste, dass nicht F, sondern andere Personen (mitanwesende Fahrer?) die tatsächlichen Lieferanten gewesen sein sollen, bleibt offen. Dass F den Rechnungsbetrag nicht behalten, sondern abredegemäß an die Hintermänner abzugeben hatte, war für den Antragsteller nicht zu erkennen.
Der Antragsteller hatte offenbar auch keine Kenntnis darüber, wie und woher der Lieferant die Waren bezogen hat, ob der Lieferant die Ware zum Beispiel selbst gesammelt oder nur als Zwischenhändler (ohne eigenen Lagerplatz) aufgetreten ist. Entsprechende Fragen zu den Bezugsquellen wären vom Lieferanten unter Hinweis auf das Geschäftsgeheimnis auch sicherlich nicht (wahrheitsgemäß) beantwortet worden. Der Antragsteller hatte auch nicht zu prüfen, wer der Fahrer war und ob der Schrott anliefernde Lkw auf den Namen des Lieferanten F zugelassen oder von einem Dritten gestellt, geliehen oder gemietet war. Anders wäre es nur, wenn der Fahrer "wie ein Unternehmer" aufgetreten wäre, zum Beispiel die Vertragsverhandlungen geführt, die Preise ausgehandelt, das Geld entgegen genommen oder ähnliche unternehmertypische Verhaltensweisen gezeigt hätte.
Hinweis
Das Finanzamt hat wieder einmal aufgrund nachträglich gewonnener, besserer Kenntnis den Vorsteuerabzug eines (offenbar) gutgläubigen Erwerbers versagt. Nach den Feststellungen der Steuerfahndung soll der Lieferant F innerhalb von 14 Monaten bei verschiedenen Recycling-Unternehmen Ablieferungen von etwa 4,15 Millionen EUR getätigt haben. Er habe in einem Brief "gestanden", von Personen aus X nur als "Schreiber" benutzt worden zu sein. Belastbare Beweise blieb das Finanzamt anscheinend schuldig. Für die Praxis ist von großer Bedeutung, dass das Finanzgericht nicht der Vorverurteilung durch das Finanzamt aufgrund offenbar vorhandener Indizien folgt. Vielmehr kommt es für das Finanzgericht entscheidend darauf an, ob der Käufer im Zeitpunkt der Lieferung erkennen konnte (und musste), dass es sich bei seinem Lieferanten um einen "Schreiber" handelt. Insoweit sieht es die Feststellungslast beim Finanzamt. Dies entspricht auch der neueren Rechtsprechung des EuGH, wonach es grundsätzlich Sache der Finanzbehörden ist, anhand konkreter, objektiver Umstände zu belegen, dass der Leistungsempfänger wusste oder hätte wissen müssen, dass sein Eingangsumsatz "Teil einer Steuerhinterziehung" ist (vgl. u. a. EuGH, Urteil v. 21.6.2012, C-80/11 und C-142/11). Im hier zu besprechenden Streitfall sah das Finanzgericht auch keine weiteren Überprüfungspflichten hinsichtlich der Personen, die den Lieferanten "begleiteten".
Bereits mit Urteil v. 23.9.2011, Az. 16 K 41/11 hat das Niedersächsische Finanzgericht klargestellt, dass die Finanzverwaltung den auftretenden Personen nicht ohne Weiteres aufgrund von Branchenerfahrungen, Fahndungsermittlungen, etc. die Unternehmereigenschaft absprechen dürfe. Auch dieses Urteil bezog sich auf die Problematik der Anlieferung von Schrott durch sog. Schreiber.
Li...