Leitsatz
1. Die Art. 167, 168 Buchst. a, 178 Buchst. a, 220 Nr. 1 und 226 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Praxis entgegenstehen, nach der die Steuerbehörde einem Steuerpflichtigen das Recht, den für die an ihn erbrachten Dienstleistungen geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuerbetrag von der von ihm geschuldeten Mehrwertsteuer als Vorsteuer abzuziehen, mit der Begründung verweigert, der Aussteller der Rechnung über diese Dienstleistungen oder einer der Dienstleistungserbringer des Rechnungsausstellers habe Unregelmäßigkeiten begangen, ohne dass diese Behörde anhand objektiver Umstände nachweist, dass der betroffene Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung dieses Rechts geltend gemachte Umsatz in eine vom Rechnungsaussteller oder einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe der Leistungskette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war.
2. Die Art. 167, 168 Buchst. a, 178 Buchst. a und 273 der Richtlinie 2006/112 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Praxis entgegenstehen, nach der die Steuerbehörde das Recht auf Vorsteuerabzug mit der Begründung verweigert, der Steuerpflichtige habe sich nicht vergewissert, dass der Aussteller der Rechnung über die Gegenstände, für die das Recht auf Vorsteuerabzug geltend gemacht werde, Steuerpflichtiger sei, dass er über die fraglichen Gegenstände verfügt habe und sie habe liefern können und dass er seinen Verpflichtungen hinsichtlich der Erklärung und Abführung der Mehrwertsteuer nachgekommen sei, oder mit der Begründung, der Steuerpflichtige verfüge neben der Rechnung über keine weiteren Unterlagen, mit denen nachgewiesen werden könnte, dass die genannten Umstände vorlägen, obgleich die in der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen materiellen und formellen Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug vorliegen und der Steuerpflichtige über keine Anhaltspunkte verfügte, die Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung in der Sphäre des Rechnungsausstellers vermuten ließen.
Normenkette
Art. 273 MwStSystRL, § 15 UStG
Sachverhalt
Die ungarische Steuerverwaltung versagte den Vorsteuerabzug aus Lieferungen von Akazienstämmen mit der Begründung, der Lieferer selbst habe nicht über so viele verfügt, und im anderen Fall, weil nicht nachvollziehbar sei, wie die Subunternehmer bei den der Steuerverwaltung bekannten Umständen (z.B. im Zeitpunkt der Leistung keine Arbeitnehmer oder bereits in Liquidation) Leistungen in dem Umfang, wie sie in Rechnung gestellt worden sind, hätten erbringen können.
Entscheidung
Die Grundsätze ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen. Die Zusammenfassung der bekannten Grundsätze wieder zu lesen, lohnt immer.
Hinweis
Das Vorabentscheidungsersuchen des ungarischen Gerichts war, wie die Leitsätze zeigen, überflüssig. Denn sie sind letztlich nur eine Zusammenfassung der bisherigen EuGH-Rechtsprechung, von denen auch die BFH-Rechtsprechung ausgeht: Der Vorsteuerabzug darf nicht versagt werden, wenn – wie der EuGH als Prämisse seiner Entscheidung voranstellt – keine objektiv belegbaren Zweifel am Vorhandensein der in einer Rechnung beschriebenen Leistung bestehen, wenn die Rechnung alle notwendigen Angaben enthält und wenn weiter der Leistungsempfänger keine objektiven Anhaltspunkte für einen Missbrauch oder Umsatzsteuerbetrug hatte oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte haben können.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 21.06.2012, C-80/11, C-142/11Mahageben Kft. und Peter David