Kommentar
§ 15 Abs. 1b UStG regelte bis 31.12.2003 den Vorsteuerabzug bei Fahrzeugen, die auch für den privaten Bedarf verwendet werden. Der Vorsteuerabzug war auf 50% beschränkt. Dafür musste die private Verwendung nicht besteuert werden. Die Vorschrift war durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 zum 1.4.1999 eingeführt worden und musste aufgrund bis dahin in Deutschland nicht existenter Vorsteuerausschlüsse EG-rechtlich durch eine Ratsermächtigung nach Artikel 27 der 6. EG-Richtlinie abgesichert werden. Die Ratsermächtigung, die mit Entscheidung vom 28.2.2000 (2000/186/EG) rückwirkend erteilt wurde, wurde am 4.3.2000 im ABl. EG (Nr. L 59/12) veröffentlicht. Die Ermächtigung war bis zum 31.12.2002 befristet. Ein Verlängerungsantrag war in Erwartung eines negativen EuGH-Urteils nicht gestellt worden. Für die Zeit ab 1.1.2003 entbehrte § 15 Abs. 1b UStG somit ohnehin einer gemeinschaftsrechtlichen Grundlage. Die Vorschrift ist mit Wirkung vom 1.1.2004 abgeschafft worden.
Nach der EuGH-Entscheidung ist die Ratsentscheidung gültig und damit wirksam, mit Ausnahme von Artikel 3 dieser Entscheidung, soweit er regelt, dass die Ratsentscheidung rückwirkend ab 1.4.1999 gilt. Das bedeutet, dass die Ratsermächtigung für den Zeitraum vom 1.4.1999 bis zum 4.3.2000 (Tag der Veröffentlichung im Amtsblatt der EG) ungültig ist und damit § 15 Abs. 1b UStG insoweit keine EG-rechtliche Grundlage hat.
In allen anderen Punkten hat der EuGH die Gültigkeit und damit die Wirksamkeit der Ratsermächtigung ausdrücklich bestätigt. Das bedeutet gleichzeitig:
- eine Ratsentscheidung nach Artikel 27 der 6. EG-Richtlinie muss nicht zwangsläufig zeitlich vor Einführung der jeweiligen nationalen Sondermaßnahme ergehen;
- der jeweilige Mitgliedstaat muss seinen Antrag auf Einführung einer Sondermaßnahme an die EU-Kommission nicht veröffentlichen (dies sieht Artikel 27 der 6. EG-Richtlinie nicht vor);
- der Rat ist mit seiner Entscheidung nicht über die von der Bundesregierung in ihrem Antrag genannten Zwecke, die mit § 15 Abs. 1b UStG verfolgt werden, hinausgegangen. Zwar dürfen Sondermaßnahmen nach Artikel 27 der 6. EG-Richtlinie nur darauf gestützt werden, dass es sich um Maßnahmen zur Vereinfachung der Steuererhebung oder um Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehungen oder Steuerumgehungen handelt. Der Mitgliedstaat muss diese Zwecke in seinem Antrag jedoch nicht ausdrücklich bezeichnen, es genügt, wenn sich diese Zwecke aus dem Wortlaut des Antrages ergeben.
Die Ratsentscheidung ist auch hinsichtlich der Tatsache, dass sie eine pauschale Vorsteuerabzugsbeschränkung auf 50 % rechtfertigt, verhältnismäßig. Der EuGH erkennt an, dass im Fall einer Pauschalierung das Steuerrecht nicht jedem Einzelfall gerecht werden kann. Er lässt erkennen, dass es zwar richtig ist, dass ein Unternehmer wie im Ausgangsfall bei einer objektiv nachgewiesenen 70 %igen Nutzung eines Fahrzeugs für unternehmerische Zwecke bei einer Vorsteuerabzugsbeschränkung auf 50 % einen wirtschaftlichen Nachteil erleidet. Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch Unternehmer, die von der Vorsteuerbeschränkung profitieren, nämlich bei einer unternehmerischen Nutzung der Fahrzeuge von 10-49 %. Neutral ist die Auswirkung der Vorsteuerbegrenzung bei einer unternehmerischen Nutzung von 50 %. Diese Auswirkungen sind typisch für jede Pauschalierung und Grenzziehung. Würde, wie die Kommission es in dem Verfahren vorgetragen hatte, jedem Unternehmer erlaubt, den Vorsteuerabzug entsprechend seiner tatsächlich nachgewiesenen unternehmerischen Nutzung der Fahrzeuge geltend zu machen, wäre die Pauschalierung ins Leere gelaufen.
Hinsichtlich der Anwendung von § 15 Abs. 1b UStG ergeben sich aus dem Urteil m.E. für das nationale Recht folgende Konsequenzen:
- Für in der Zeit vom 1.4.1999 bis 4.3.2000 angeschaffte und gemischt genutzte Fahrzeuge kann der Vorsteuerabzug entgegen § 15 Abs. 1b UStG in voller Höhe geltend gemacht werden. Allerdings muss die private Nutzung nach § 3 Abs. 9a UStG als unentgeltliche Wertabgabe der Umsatzsteuer unterworfen werden. Unternehmer, deren unternehmerische Nutzung der Fahrzeuge nur bis 50 % geht, können sich auch auf das für sie günstigere nationale Recht berufen und § 15 Abs. 1b UStG anwenden. Im Ergebnis haben die Unternehmer also für die Zeit vom 1.4.1999 bis 4.3.2000 die Wahl der für sie jeweils günstigeren Regelung (entweder voller Vorsteuerabzug mit Besteuerung der privaten Verwendung nach Gemeinschaftsrecht oder beschränkter Vorsteuerabzug in Höhe von 50 % ohne Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe nach nationalem Recht).
- Für in der Zeit vom 5.3.2000 bis zum 31.12.2002 angeschaffte und gemischt genutzte Fahrzeuge gilt § 15 Abs. 1b UStG uneingeschränkt. D.h., bei einer gemischten Nutzung der Fahrzeuge ist der Vorsteuerabzug auf die Anschaffungskosten und die laufenden Aufwendungen auf 50 % beschränkt. Eine Besteuerung der privaten Verwendung als unentgeltliche Wertabgabe nach § 3 Abs. 9a UStG findet nicht statt.
- Für in der Zeit vom 1.1.2003 bis...