Leitsatz
1. Als vorsteuerabzugsberechtigter Unternehmer (Steuerpflichtiger) gilt, wer die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht hat, i.S.v. § 2 UStG eine Umsatztätigkeit gegen Entgelt (wirtschaftliche Tätigkeit i.S.v. Art. 4 der Richtlinie 77/388/EWG) selbstständig auszuüben und erste Investitionsausgaben für diese Zwecke hat.
2. Die tatsächliche oder bei Leistungsbezug beabsichtigte Verwendung des Gegenstands oder der sonstigen Leistung zur Ausführung besteuerter Umsätze (vgl. § 15 Abs. 2 UStG) bestimmt den Umfang des Vorsteuerabzugs und ist Grundlage für eine Vorsteuerberichtigung in sog. Folgejahren.
3. Das so entstandene Recht auf sofortigen Vorsteuerabzug bleibt – vorbehaltlich einer etwaigen Vorsteuerberichtigung – erhalten, auch wenn der Steuerpflichtige aufgrund einer nach dem Bezug dieser Gegenstände oder Dienstleistungen, aber vor Aufnahme der Umsatztätigkeit eingetretenen Gesetzesänderung nicht mehr zum Verzicht auf die Steuerbefreiung dieser Umsätze berechtigt ist; dies gilt auch dann, wenn die Umsatzsteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wurde.
Normenkette
§ 164 AO , § 9 Abs. 2 UStG 1991/1993 i.d.F. des StMBG , § 15 UStG 1991/1993 i.d.F. des StMBG , § 27 Abs. 2 UStG 1991/1993 i.d.F. des StMBG , Art. 4 6. EG-RL , Art. 17 6. EG-RL , Art. 20 6. EG-RL
Sachverhalt
Die Klägerin ist 1991 zu dem Zweck gegründet worden, Erbbaurechte an einem Grundstück zu halten, ein Wohn- und Bürogebäude darauf zu errichten sowie den Grundbesitz langfristig zu nutzen und zu verwerten. Im Mai 1993 wurde für das Bauvorhaben eine Baugenehmigung erteilt. Nachdem sich die Absicht, die Baugenehmigung an einen Dritten zu veräußern, nicht realisieren ließ, schloss die Klägerin im Oktober 1993 einen Architektenvertrag zur Abwicklung der Baumaßnahme ab, die von Januar bis Dezember 1994 realisiert wurde.
Die Klägerin verzichtete auf die Steuerbefreiung der Vermietungsumsätze und machte den Vorsteuerabzug aus den Baurechnungen geltend. Die Gesamtfläche vermietete die Klägerin zu 39,38 % als Wohnraum, zu 46,49 % als Büro an eine AG, die als Finanzdienstleister zu mehr als 90 % steuerfreie Umsätze ausführte, und zu 13,96 % als Büro an einen Architekten.
Das FA erkannte wegen des zwischenzeitlich geänderten § 9 Abs. 2 UStG durch das StBMG den Vorsteuerabzug nur im Umfang von 13,96 % zu.
Entscheidung
Der BFH hat unter Bezugnahme auf die Antwort des EuGH auf seine Fragen in dem Vorlagebeschluss vom 27.8.1998 der Klägerin das Recht auf Vorsteuerabzug im Zeitpunkt der Leistungsbezüge aufgrund ihrer objektiv belegten Absicht zuerkannt. Dies gelte sowohl für die Entstehung als auch für den Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug. Eine spätere, vor Aufnahme der Umsatztätigkeit eingetretene Gesetzesänderung beeinträchtige dieses einmal entstandene Recht nicht.
Erforderlich sei aber eine objektiv belegte Verwendungsabsicht im Zeitpunkt des jeweiligen Leistungsbezugs. Folglich prüfte der BFH die verschiedenen Leistungsbezüge der Klägerin in den Jahren 1992, 1993 und 1994, daraufhin, ob die Klägerin in diesen Zeitpunkten noch in gutem Glauben an eine steuerpflichtige Gebäudevermietung bzw. steuerpflichtige Baugenehmigungsveräußerung war. Für das Jahr 1992 nahm der BFH dies an, für das Jahr 1994 schloss er dies wegen der zwischenzeitlich eingetretenen und bekannten Gesetzesänderung zu § 9 Abs. 2 UStG durch das StMBG aus. Für das Jahr 1993 konnte er die Frage nicht beantworten, da der Sachverhalt nicht erkennen ließe, ob die Eingangsleistungen vor oder nach dem 21.12.1994, dem Tag der Verkündung des Gesetzesbeschlusses zur Änderung des § 9 Abs. 2 UStG, bezogen wurden.
Der BFH verneinte darüber hinaus die Anwendbarkeit der Übergangsregelung in § 27 Abs. 2 UStG und lehnte Vertrauensschutzgrundsätze ab.
Hinweis
Mit der vorliegenden Entscheidung setzt der BFH die Grundsätze des EUGH aus seinem Vorlagebeschluss Grundstücksgemeinschaft Schlossstraße um. Damit ist die bisherige Behandlung des Vorsteuerabzugsrechts in einem wichtigen Teilbereich außer Kraft gesetzt: richtete sich bisher vor allem der Umfang des Vorsteuerabzugs nach den tatsächlichen Verwendungsverhältnissen des Erstjahres und hatte sich hieran ein zunächst nach der Absicht nur vorläufig gewährter Vorsteuerabzug auszurichten, so ist nunmehr alleine der Zeitpunkt des Leistungsbezugs und die in diesem Zeitpunkt vorhandene Absicht für den Vorsteuerabzug entscheidend. Das gilt nicht nur für das Ob, sondern auch für den Umfang. Abschnitt 207 Abs. 3 UStR 2000 ist damit überholt.
Allerdings steht der Vorsteuerabzug alleine nach der Absicht unter zwei Vorbehalten: zum einen muss die Absicht objektiv glaubhaft gemacht werden. Genau hier wird die Verwaltung in Zukunft aber wohl ansetzen und einem zu weit gehenden Vorsteuerabzug Einhalt gebieten wollen. Erste Anhaltspunkte für den Nachweisumfang bietet Abschnitt 19 Abs. 2 UStR 2000. Zum anderen steht der Vorsteuerabzug unter der Nachprüfbarkeit einer möglichen Vorsteuerberichtigung bei tatsächlich anderer Nutzung. Allerdings sind die bisher...