Dipl.-Finw. (FH) Helmut Lehr
Leitsatz
Wird der leistende Unternehmer durch ein Zivilgericht zum gesonderten Ausweis der Umsatzsteuer nachträglich verpflichtet, ist der Vorsteuerabzug nur dann möglich, wenn die Steuer für den Umsatz tatsächlich noch geschuldet wird. Nach Eintritt der Festsetzungsverjährung wird die Steuer nicht mehr geschuldet, weil sie bereits erloschen ist. Demzufolge ist auch der Vorsteuerabzug nicht mehr möglich. Der nachträgliche Verzicht auf die Steuerbefreiung stellt kein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO dar.
Sachverhalt
Der Kläger hatte ein Grundstück von einer zwischenzeitlich vermögenslos gewordenen GmbH erworben. Sechs Jahre nach dem Erwerb verklagte er die GmbH, auf die Umsatzsteuerfreiheit der Grundstücksveräußerung im Wege der Option zu verzichten. Das Amtsgericht ermächtigte letztendlich den Kläger dazu, den gesonderten Mehrwertsteuerausweis selbst vorzunehmen (Ergänzung der Kaufurkunde im Wege der Ersatzvornahme). Das Finanzamt lehnte den nachträglich geltend gemachten Vorsteuerabzug jedoch ab.
Entscheidung
Das Finanzgericht wies die dagegen erhobene Klage als unbegründet zurück. Zunächst bestätigten die Richter, dass der Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung (hier der Grundstückslieferung) auf den Zeitpunkt des Umsatzes zurückwirkt. Die Rechnung, die sich der Kläger im Wege der Ersatzvornahme selbst ausgestellt hat, war ebenfalls nicht zu beanstanden. Dennoch war daraus kein Vorsteuerabzug möglich, weil in der ergänzten Kaufurkunde über eine nicht mehr geschuldete Steuer abgerechnet worden ist. Gemäß der EuGH-Rechtsprechung sei das Merkmal "geschuldete Steuer" (vgl. Art. 17 Abs. 2 Buchstabe a der 6. EG-Richtlinie) dahingehend zu verstehen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug nur für diejenigen Steuern besteht, die mit einem der Mehrwertsteuer unterworfenen Umsatz in Zusammenhang stehen. Wegen der bereits eingetretenen Festsetzungsverjährung konnte die Steuerpflicht aber für den ursprünglich steuerfreien Umsatz im Wege der Option nicht mehr erreicht werden. Deshalb wurde die Steuer auch nicht mehr geschuldet. Der nachträgliche Verzicht auf die Steuerbefreiung ist nach Auffassung des Finanzgerichts kein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO. Folglich führt diese Vorschrift nicht mehr zu einer "Verlängerung" der Festsetzungsfrist.
Hinweis
Der BFH hatte bereits in der Vergangenheit entschieden, dass nach Bestandskraft der Steuerfestsetzung nicht mehr auf die Steuerfreiheit einer Grundstückslieferung wirksam verzichtet werden kann. Der nachträgliche Verzicht auf die Steuerfreiheit ist weder ein rückwirkendes Ereignis noch eine neue Tatsache i.S.v. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.
Mit Urteil vom 13.11.2003 (BFH, Urteil v. 13.11.2003, V R 79/01, UR 2004 S. 312) hat der BFH klargestellt, dass der Unternehmer die Steuer nach § 14 Abs. 2 S. 1 UStG (neu: § 14c Abs. 1 UStG) schuldet, wenn er die Umsatzsteuer erst zu einem Zeitpunkt ausweist, in dem die ursprüngliche Steuer für seine (originär steuerpflichtige) Leistung wegen Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht mehr erhoben werden kann. In diesem Fall liegt sehr wohl ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vor.
Dieser Beurteilung stünde aber nicht entgegen, dass auf die Steuerbefreiung einer Grundstückslieferung nach Bestandskraft der Steuerfestsetzung nicht mehr durch Ausstellung einer Rechnung mit gesondertem Steuerausweis verzichtet werden kann. Denn dabei geht es um die Frage, ob eine originär steuerfreie Leistung später noch steuerpflichtig werden kann.
Hinweis: Ab 2004 kann der Verzicht auf die Umsatzsteuerfreiheit bei Grundstückskaufverträgen ohnehin nur noch in dem notariell beurkundeten Kaufvertrag erklärt werden. Ein nachträglicher Verzicht wird dadurch grds. ausgeschlossen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass ab dem 1.4.2004 der Grundstückskäufer im Wege der Steuerschuldnerschaft (vgl. § 13b UStG) die Umsatzsteuer schuldet.
Link zur Entscheidung
FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11.12.2003, 6 K 2220/00