Leitsatz
1. Der Vorsteuerabzug aus einer geleisteten Vorauszahlung ist dem Erwerber eines Blockheizkraftwerks nicht zu versagen, wenn zum Zeitpunkt seiner Zahlung die Lieferung sicher erschien, weil alle maßgeblichen Elemente der zukünftigen Lieferung als ihm bekannt angesehen werden konnten, und anhand objektiver Umstände nicht erwiesen ist, dass er zu diesem Zeitpunkt wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass die Bewirkung dieser Lieferung unsicher war.
2. Die Vorsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG setzt die Rückzahlung der geleisteten Vorauszahlung voraus; sie ist offenkundig unangemessen und daher ausgeschlossen, wenn der Erwerber anschließend von der Steuerbehörde die Erstattung der auf die Vorauszahlung entrichteten Steuer beanspruchen kann.
Normenkette
§ 2 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 und Satz 3, § 14 Abs. 4, § 14 Abs. 5 Satz 1, § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG, Art. 167, Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 65 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)
Sachverhalt
Der Kläger bestellte am 3. August 2010 bei A ein BHKW, dessen Lieferung voraussichtlich 14 Wochen nach Geldeingang vorgesehen war. Nachdem der Kläger die Zahlung geleistet hatte, erhielt er von A unter dem 28.8.2010 eine Rechnung über die Lieferung des BHKW.
Der Kläger beabsichtigte zunächst den Betrieb des BHKW. Am 6.10.2010 schloss er jedoch einen "Pachtvertrag" über das BHKW. A war danach berechtigt, das BHKW zur Erzeugung von Strom und anderen Energien gegen eine jährliche Pacht i.H.v. 14.400 EUR (netto), zahlbar in zwölf monatlichen Raten zu jeweils 1.200 EUR, zzgl. Umsatzsteuer zu nutzen. Der "Pachtvertrag" hatte eine Laufzeit von zehn Jahren.
Der Kläger erhielt Pachtzahlungen für die Monate Oktober, November und Dezember 2010.
Zur Lieferung des BHKW kam es jedoch nicht. Am 30.11.2010 wurden von der Staatsanwaltschaft u.a. die Geschäftsräume der A durchsucht und Personen aus deren Umfeld festgenommen. Am 3.12.2010 teilte A mit, dass sämtliche Vertriebsaktivitäten eingestellt worden seien, insbesondere keine Container mehr ausgeliefert würden. Auf einen Antrag vom 30.12.2010 wurde am 1.3.2011 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der A eröffnet.
Der Kläger machte den Vorsteuerabzug aus der Anzahlung geltend, den das FA nicht gewährte. Das FG (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.9.2014, 9 K 2914/12, Haufe-Index 7674447) gab der Klage statt. Der Kläger könne den Vorsteuerabzug beanspruchen. Eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs scheitere nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH schon daran, dass die Anzahlung nicht zurückgewährt worden sei. Nach dem EuGH-Urteil FIRIN (UR 2014, 705) komme vorliegend eine Berichtigung erst für den Besteuerungszeitraum 2011 in Betracht.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des FA aufgrund der Antworten des EuGH als unbegründet zurück.
Hinweis
1. Wer beabsichtigt, ein Blockheizkraftwerk (BHKW) zu verpachten, ist Unternehmer, auch wenn es später nicht zu dessen Lieferung kommt, weil er einem betrügerischen Schneeballsystem aufgesessen ist (vgl. BFH, Beschluss vom 21.9.2016, XI R 44/14, BFH/NV 2017, 248, Rz. 33, BFH/PR 2017, 91).
2. In diesem Vorlagebeschluss hatte der BFH den EuGH befragt, ob der Geschädigte den Vorsteuerabzug vornehmen kann, obwohl das gekaufte BHKW niemals geliefert werden sollte und damit die Lieferung nicht "sicher" war. Weiter wollte der BFH vom EuGH wissen, ob ggf. der Vorsteuerabzug berichtigt werden muss, obwohl dem Käufer die Anzahlung nicht zurückgezahlt worden ist.
3. Der EuGH hat diese Fragen mit seinem Urteil Wirtl (EuGH-Urteil vom 31.5.2018, C‐661/16, UR 2018, 519) dahin gehend beantwortet, dass
a) unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens das Recht auf Vorsteuerabzug nicht versagt werden darf, wenn diese Anzahlung geleistet und vereinnahmt wurde und zum Zeitpunkt dieser Leistung alle maßgeblichen Elemente der zukünftigen Lieferung als dem Erwerber bekannt angesehen werden konnten und die Lieferung daher sicher erschien;
b) dem Erwerber der Vorsteuerabzug versagt werden darf, wenn anhand objektiver Umstände erwiesen ist, dass er zum Zeitpunkt der Leistung der Anzahlung wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass die Bewirkung dieser Lieferung unsicher war;
c) unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Berichtigung des Vorsteuerabzugs davon abhängig gemacht werden darf, dass die Anzahlung zurückgezahlt wird.
4. Folge davon ist, dass
a) die Umsatzsteuer auch beim Leistenden nach Art. 65 MwStSystRL, § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 UStGmateriell entsteht und nicht nur nach Art. 203 MwStSystRL, § 14c Abs. 2 UStG geschuldet wird und
b) an der nationalen Rechtsprechung festgehalten werden kann, wonach die Berichtigung des Vorsteuerabzugs eine Rückzahlung der (Voraus‐ bzw.) Anzahlung voraussetzt (vgl. BFH, Urteil vom 2.9.2010, V R 34/09, BFH/NV 2011, 383, BStBl II 2011, 991; BFH, Urteil vom 8.9.2011, V R 43/10, BFH/NV 2012, 664, BStBl II 2014, 203; BFH, Urteil vom 15.9.2011, V R 36/09, BFH/NV 2012, 349, BStBl II 2012, 365).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 5.12....