Leitsatz
Ein Steuerpflichtiger, der im Rahmen einer Betriebsaufgabe betriebliche Wirtschaftsgüter gegen wiederkehrende Bezüge veräußert, kann – wie bei der Betriebsveräußerung gegen wiederkehrende Bezüge – zwischen der Sofortbesteuerung und der Zuflussbesteuerung des entsprechenden Gewinns wählen.
Normenkette
§ 16 Abs. 1, 2 und 3, § 24 Nr. 2, § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin gab ihren handwerklichen Betrieb auf und veräußerte einen Großteil der Wirtschaftsgüter ihres Geschäftsbetriebs an die A-GmbH gegen die Zahlung einer lebenslangen monatlichen Rente i.H.v. 3.000 EUR ab Januar 2014. Die Klägerin war der Ansicht, lediglich in Höhe der Differenz zwischen den gemeinen Werten der ins Privatvermögen überführten Wirtschaftsgüter, zu denen das als wesentliche Betriebsgrundlage anzusehende Betriebsgrundstück gehörte, und deren Restbuchwerten müsse eine Sofortbesteuerung erfolgen. Das FG meinte demgegenüber, auch die stillen Reserven der von ihr gegen Leibrente an die A-GmbH veräußerten Wirtschaftsgüter seien bereits im Jahr der Veräußerung zu versteuern. Ein Wahlrecht zur Zuflussbesteuerung bestehe bei der Betriebsaufgabe – im Gegensatz zur Betriebsveräußerung – nicht. Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 24.1.2020, 4 K 28/18, Haufe-Index 13722451, EFG 2020, 575).
Entscheidung
Die Revision der Klägerin hatte aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen Erfolg. Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und ihrer Klage stattgegeben.
Hinweis
1. Im Fall der Betriebsveräußerung i.S.d. § 16 Abs. 1 Satz 1 EStGgegen bestimmte wiederkehrende Bezüge kann der Steuerpflichtige zwischen der Sofortbesteuerung und der Zuflussbesteuerung wählen. Die Sofortbesteuerung ist der gesetzliche Normalfall, während die Zuflussbesteuerung "eine auf Billigkeitserwägungen unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beruhende Ausnahmeregelung" darstellt. Daher muss der Steuerpflichtige bei einer Betriebsveräußerung die Zuflussbesteuerung auch ausdrücklich wählen.
2. Die Einräumung der Möglichkeit, die Zuflussbesteuerung wählen zu können, hat der BFH mit dem für den Veräußerer verbundenen Wagnis begründet und ergänzend auf den Versorgungscharakter dieser Zahlungen abgestellt. Das Wahlrecht trägt dem Umstand Rechnung, dass einerseits die wiederkehrenden Bezüge mit ihrem Gegenwartswert zu bewerten sind und damit der Veräußerungsgewinn bereits im Zeitpunkt der Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums an den wesentlichen Betriebsgrundlagen verwirklicht wird, andererseits jedoch das – gemessen an der statistischen Wahrscheinlichkeit – vorzeitige Versterben des Rentenberechtigten nicht zu einer (rückwirkenden) Korrektur des Veräußerungsgewinns führt
3. Der Gewinn aus der Veräußerung von betrieblichen Wirtschaftsgütern gegen Leibrente im Rahmen einer Betriebsaufgabe kann aufgrund der vergleichbaren Interessenlage ebenfalls der Zuflussbesteuerung unterliegen. Wie bei einer Betriebsveräußerung liegt es im Interesse des den Betrieb aufgebenden Steuerpflichtigen, nicht mehr ESt zahlen zu müssen, als er nach Maßgabe der tatsächlich zugeflossenen Rentenzahlungen zahlen müsste. Auch hier besteht das Risiko, dass dieser Fall bei einem frühen Tod des Betriebsaufgebers bei einer Sofortbesteuerung eintreten könnte.
4. Der Steuerpflichtige hat damit auch bei der Betriebsaufgabe das Wahlrecht, den Gewinn aus der Veräußerung einzelner betrieblicher Wirtschaftsgüter nach Maßgabe des Zuflusses der wiederkehrenden Bezüge erst dann als realisiert anzusehen, wenn die wiederkehrenden Bezüge die Buchwerte der veräußerten Wirtschaftsgüter und die insoweit angefallenen Aufgabekosten übersteigen.
5. Auch bei der Betriebsaufgabe führt die Zuflussbesteuerung lediglich zu einer zeitlichen Streckung der anfallenden Steuerzahlungen, die der Steuerpflichtige durch den Verlust der Begünstigung des § 16 Abs. 4 EStG (Freibetrag) quasi "erkauft". Wird die Zuflussbesteuerung gewählt, sind sowohl der Zins- als auch der Tilgungsanteil der Leibrente nicht nach § 34 EStG ermäßigt zu besteuern. Die Leibrente führt zu nachträglichen Betriebseinnahmen gemäß § 24 Nr. 2 EStG i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, es sind insoweit keine außerordentlichen Einkünfte i.S.d. § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG gegeben.
6. Für Betriebsveräußerungen nach dem 31.12.2004 entsteht nach Auffassung der Finanzverwaltung ein Gewinn, wenn der Kapitalanteil der wiederkehrenden Leistungen das steuerliche Kapitalkonto des Veräußerers zuzüglich etwaiger Veräußerungskosten des Veräußerers übersteigt. Der in den wiederkehrenden Leistungen enthaltene Zinsanteil stellt danach bereits im Zeitpunkt des Zuflusses nachträgliche Betriebseinnahmen dar (EStH 2020 R 16 Abs. 11). Mangels Entscheidungserheblichkeit musste der BFH nicht urteilen, ob er diese Auffassung teilt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 29.6.2022 – X R 6/20