Leitsatz
1. Wird geltend gemacht, die Milcherzeugung in einem Betrieb sei für die Dauer einer kurzfristigen Pacht auf einen anderen übergegangen, so obliegt, wenn in dem Betrieb äußerlich alles beim Alten geblieben ist, dem Verpächter der Nachweis für den Übergang der Erzeugerstellung. Verbleibende Zweifel am Vorliegen ausreichender Merkmale für einen zeitweiligen Betriebsübergang müssen zu seinen Lasten gewürdigt werden.
2. Die Dauer der Pachtzeit ist für die tatrichterliche Würdigung, ob jemand Milcherzeuger geworden ist, weder ohne Bedeutung noch ohne erhebliches Gewicht. Bei kurzer Pachtzeit spricht eine erste Vermutung dafür, dass der Verpächter während dieser Zeit Betriebsinhaber geblieben ist. Es bedarf besonders gewichtiger sonstiger Umstände, die bei der Gesamtwürdigung dem Fall das Gepräge geben, wenn trotz der kurzen Pachtzeit der Pächter als Betriebsinhaber angesehen werden soll.
3. Es ist für einen Milcherzeuger nicht typisch, dass er die Betreuung seiner Herde jemandem überlässt, den er nicht selbst ausgesucht hat und der sich nicht unter seiner Aufsicht und Anleitung befindet; solche Umstände müssen deshalb vom Tatrichter dahin gewürdigt werden, dass sie gegen den Übergang der Milcherzeugerstellung auf denjenigen sprechen, der Auswahl, Anleitung und Aufsicht nicht ausübt.
Normenkette
Art. 5 Buchst. c VO Nr. 1788/2003; § 118 Abs. 1 FGO
Sachverhalt
Ein Milchbauer, der um die Überschreitung seiner Referenzmenge fürchten musste, hatte zwei Verträge mit einer GmbH geschlossen, welche in einer knapp 400 km vom Hof entfernten Ortschaft ebenfalls Milcherzeugung betrieb und ihrerseits eine Referenzmenge besaß, die sie mit "eigenen" Kühen nicht ausschöpfen konnte. Milchkühe und Stallgebäude einschließlich Güllebehälter wurden also für Februar und März 2005 verpachtet. Ferner wurde vereinbart, dass der Verpächter von der Pächterin wöchentlich einen Kontoauszug des von der GmbH zur Abwicklung des Pachtverhältnisses eingerichteten Geschäftskontos erhalten und wer von der GmbH mit der Betreuung der Kühe vor Ort beauftragt werden solle.
Das HZA sieht den Verpächter trotz dieser Verträge auch für die beiden Pachtmonate als Erzeuger der auf seinem Hof produzierten Milch an.
Entscheidung
Im Streitfall überschritt das FG (FG Hamburg, Urteil vom 20.09.2007, 4 K 66/07, Haufe-Index 1849597) die ihm zustehende Beurteilungsfreiheit, indem es den Nachweis als geführt ansah, dass der bisher vom Kläger unterhaltene Betrieb für die Dauer der Pacht auf einen anderen übergegangen ist. Denn dieser Nachweis obliegt, wenn in dem Betrieb äußerlich alles beim Alten geblieben ist, dem Verpächter, nicht nur was Inhalt und Abschluss der Verträge angeht, sondern auch bei Zweifeln am Vorliegen für einen (zeitweiligen) Betriebsübergang ausreichender Merkmale. Diese müssen ggf. zu seinen Lasten gewürdigt werden, weil er es ist, der sich auf einen außergewöhnlichen Vorgang sowie Vorgänge und Umstände beruft, die in seiner Sphäre liegen. Im Streitfall war das FG genau umgekehrt vorgegangen. Deshalb hat der BFH sein Urteil aufgehoben.
Hinweis
1. Milcherzeuger ist nach Art. 5 Buchst. c der oben bezeichneten Gemeinschaftsverordnung der Betriebsinhaber, der einen Betrieb bewirtschaftet und der Milch erzeugt und vermarktet. Er muss nicht Eigentümer der Anlagen sein, die er für die Milcherzeugung nutzt; hat er sie gepachtet, muss er sie aber "selbstständig" bewirtschaften.
2. Ob die Voraussetzungen einer selbstständigen Bewirtschaftung gepachteter Produktionseinheiten vorliegen, ist aufgrund einer Würdigung des Gesamtbilds der Verhältnisse zu entscheiden. Denn der Begriff des Erzeugers lässt sich ebenso wenig wie z.B. der Begriff "Arbeitnehmer" oder "Lkw" und dergleichen durch Aufzählung feststehender Merkmale abschließend bestimmen; es handelt sich nicht um einen tatbestandlich scharf umrissenen Begriff, der durch eine bestimmte Zahl hinreichender Merkmale ausreichend beschrieben werden kann.
Ob jemand eine Tätigkeit "selbstständig" ausübt, ist vielmehr anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Kriterien nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen, wobei die Gegebenheiten im konkreten Einzelfall zu gewichten und gegeneinander abzuwägen sind. Denn den eine selbstständige Milcherzeugung kennzeichnenden Merkmalen ist eigen, dass grundsätzlich keines von ihnen für sich allein den Schluss gestattet, der Betreffende sei selbstständig und eigenverantwortlich tätig, so wie grundsätzlich keines dieser Merkmale, wenn es fehlt, diesen Schluss von vornherein ausschließt.
3. Die Aufgabe der Würdigung des Einzelfalls nach dem Gesamtbild der Verhältnisse obliegt bei solchen Begriffen im Wesentlichen dem FG; seine Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse ist revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar (BFH, Urteil vom 25.09.2007, VII R 28/06, BFH/NV 2008, 177).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 26.05.2009 – VII R 28/08