Leitsatz
Die Ungewissheit i.S.v. § 165 AO i.V.m. § 171 Abs. 8 AO, ob ein Steuerpflichtiger mit Einkünfteerzielungsabsicht tätig geworden ist oder ob Liebhaberei vorliegt, ist beseitigt, wenn die für die Beurteilung der Einkünfteerzielungsabsicht maßgeblichen Hilfstatsachen festgestellt werden können und das FA davon positive Kenntnis hat.
Normenkette
§ 165, § 171 Abs. 8, § 181 Abs. 1 und 5 AO
Sachverhalt
Eine GbR hatte 1984 einen Hof erworben und im Jahr 1993 wieder veräußert. Zwischenzeitlich waren bis auf das Veräußerungsjahr in jedem Jahr Verluste angefallen. Der Veräußerungsgewinn im Jahr 1993 betrug ca. 86 000 DM. Insgesamt ergab sich ein Verlust von ca. 660 000 DM.
Das FA hatte für alle Jahre hinsichtlich der Verluste aus Land- und Forstwirtschaft nach § 165 Abs. 1 S. 1 AO vorläufige Gewinnfeststellungsbescheide erlassen. Im Jahr 1995 gab die GbR die Gewinnfeststellungserklärung 1993 ab und erklärte darin den Veräußerungsgewinn. Aufgrund einer 1998 durchgeführten Betriebsprüfung kam das FA zu der Auffassung, dass von Beginn an keine Einkünfteerzielungsabsicht bestanden habe. Es hob daraufhin im Jahr 1999 alle Gewinnfeststellungsbescheide für 1984–1993 ersatzlos auf.
Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das FG (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 29.09.2005, 5 K 149/00, Haufe-Index 1692688, EFG 2007, 977) hielt die Aufhebungsbescheide wegen Ablaufs der Feststellungsverjährung für rechtswidrig.
Entscheidung
Dieser Auffassung war auch der BFH und wies die Revision des FA zurück.
Hinweis
1. Hat das FA Anhaltspunkte dafür, dass eine unter die Einkunftsarten des EStG fallende wirtschaftliche Tätigkeit ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt wird, kann es die erklärten Verluste zunächst vorläufig anerkennen, um den weiteren wirtschaftlichen Erfolg der Tätigkeit zu beobachten. Verfahrensrechtlich bietet § 165 AO das erforderliche Instrumentarium, um die Steuerfestsetzungen oder Gewinnfeststellungen bei Vorliegen hinreichender Indizien nach Verstreichen eines ausreichenden Beobachtungszeitraums ändern und die Verluste streichen zu können. Die betreffenden Bescheide müssen ausdrücklich für vorläufig erklärt und mit Angaben zu Grund und Umfang der Vorläufigkeit versehen werden.
Anders als im Fall des Vorbehalts der Nachprüfung gem. § 164 AO besteht nicht die Gefahr, dass eine spätere Korrektur der Bescheide wegen Eintritts der Festsetzungs- oder Feststellungsverjährung unmöglich wird. Denn § 171 Abs. 8 AO regelt eine Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist.
2. Das Besprechungsurteil zeigt allerdings, dass auch die Ablaufhemmung nicht unbegrenzt fortbesteht. Vielmehr endet die Festsetzungsfrist mit Ablauf eines Jahrs, nachdem die Ungewissheit, auf der die Vorläufigkeit beruht, entfallen ist und das FA davon Kenntnis hat.
Ergibt sich der Schluss auf ein Fehlen der Einkunftserzielungsabsicht erst aus einer mehrjährigen Verlustperiode, wird man nur schwer ausmachen können, nach dem wievielten Jahr ausreichend Indizien für den sicheren Schluss auf das Bestehen oder Fehlen der Absicht vorliegen. Erst wenn dieser sichere Schluss möglich ist, fällt auch die Ungewissheit weg und besteht Anlass für das FA, die bisher vorläufig erlassenen Bescheide zu korrigieren bzw. für endgültig zu erklären.
Mit dem Ende der betreffenden Tätigkeit und der Veräußerung der angeblich betrieblich genutzten Wirtschaftsgüter sind allerdings spätestens alle Indizien entstanden, aus denen auf die Einkunftserzielungsabsicht geschlossen werden kann. Erfährt das FA von der Veräußerung des unter Beobachtung stehenden Betriebs, beginnt deshalb damit nach Meinung des BFH die einjährige Frist zum Erlass der endgültigen Bescheide. Diese Frist hatte das FA im Urteilsfall verstreichen lassen, ehe es mit einer Betriebsprüfung begonnen hatte. Deshalb konnte die Betriebsprüfung auch keine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO mehr auslösen.
3. Im Urteilsfall war über Gewinnfeststellungsbescheide zu entscheiden, für die im Grundsatz dieselben Verjährungsregeln gelten wie für Steuerbescheide. Allerdings kann nach § 181 Abs. 5 AOtrotz Ablaufs der regulären Feststellungsfrist ein Feststellungsbescheid noch insoweit erlassen werden, als er für eine noch nicht verjährte Steuerfestsetzung von Bedeutung ist. Dies gilt auch für nach § 165 Abs. 2 AO geänderte oder für endgültig erklärte Feststellungsbescheide.
§ 181 Abs. 5 S. 2 AO ordnet in diesem Zusammenhang an, dass in dem so nach Ablauf der regulären Feststellungsfrist ergehenden Feststellungsbescheid auf die Bedeutung für die noch nicht verjährte Steuerfestsetzung hinzuweisen ist. Dieser Hinweis ist ein materieller Bestandteil des Bescheids, wie der BFH im hiesigen Urteil noch einmal ausdrücklich bestätigt. Fehlt also der Hinweis, ist der Bescheid rechtswidrig und muss aufgehoben werden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 04.09.2008 – IV R 1/07