2.1 Tatbestandsvoraussetzungen
§ 6 AStG knüpft in seinem Grundtatbestand an das Ausscheiden einer natürlichen Person aus der unbeschränkten Steuerpflicht in der Bundesrepublik Deutschland an und löst als Rechtsfolge die Konsequenzen des § 17 EStG, also die Besteuerung der in den Anteilen an einer Kapitalgesellschaft enthaltenen stillen Reserven, aus, ohne dass tatsächlich veräußert wird. Aufgrund der hiermit verbundenen Liquiditätsbelastung, die infolge eines nicht gezahlten Verkaufspreises aus der Substanz finanziert werden muss, ist dies ein gravierender Nachteil (vgl. zur ggf. möglichen Stundung unten Tz. 2.2). Hierbei muss es sich um eine Beteiligung handeln, die die Voraussetzungen des § 17 EStG erfüllt, sodass zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb der letzten fünf Jahre eine Beteiligung von mehr als einem Prozent bestanden haben muss. Hingegen kommt es nicht darauf an, ob es sich um eine in- oder ausl. Kapitalgesellschaft handelt. Anders als in den Fällen der §§ 2ff. AStG (vgl. "Erweitert beschränkte Steuerpflicht") ist auch die Höhe der Steuerbelastung im Ausland irrelevant, sodass die Regelung nicht nur bei einem Wegzug in einen niedrig besteuernden Staat zu beachten ist.
§ 6 Abs. 1 S. 2 AStG enthält Fälle, in denen es zwar nicht zu einer Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht des Eigentümers der Beteiligung infolge seiner Auswanderung kommt, aber gleichwohl eine Beteiligung i. S. d. § 17 EStG aus der deutschen Besteuerungshoheit ausscheidet. Ziel dieser Regelungen ist es, Umgehungsmöglichkeiten durch entsprechende Gestaltung des Sachverhalts zu verhindern. § 6 AStG ist auch auf die Fälle anzuwenden, in denen eine Beteiligung von einem unbeschränkt Stpfl. auf eine in Deutschland nicht unbeschränkt stpfl. Person im Rahmen eines Erwerbs von Todes wegen übergeht. Die Regelung führt zu einer erheblichen Belastung der Liquiditätssituation im Erbfall, weil neben der entstehenden ErbSt auch Steuer gem. § 6 Abs. 1 AStG auf die stillen Reserven zu entrichten ist.
2.2 Erleichterungen
§ 6 Abs. 3 und 4 AStG enthalten Maßnahmen zur Vermeidung von Besteuerungshärten, die dadurch ausgelöst werden, dass dem Stpfl. zum Zeitpunkt des Wegzugs keine gesonderten Erträge (= Veräußerungserlöse) zufließen, die zur Finanzierung der Steuerbelastung verwendet werden können. Aus Gründen der sachlichen Billigkeit kann eine Milderung der Besteuerungsfolgen geboten sein, weil andernfalls der Stpfl. gezwungen sein könnte, die Beteiligung zu veräußern, um die hieraus entstehende Steuerbelastung finanzieren zu können. § 6 Abs. 5 AStG trifft Sonderregelungen für EU- und EWR-Staatsangehörige. Dadurch soll erreicht werden, dass die Regelungen mit den Grundfreiheiten des AEUV vereinbar sind. Abweichend vom Grundtatbestand erfolgt eine Stundung des eigentlich entstehenden Steueranspruchs. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass keine Sicherheitsleistungen und keine Zinsen oder Ratenzahlungen festzusetzen sind. Durch § 6 Abs. 6 AStG wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Wert der Beteiligung zum Zeitpunkt der Veräußerung niedriger sein kann, als dies beim Wegzug der Fall war. Sind die jeweiligen Voraussetzungen erfüllt, kann eine Berufung auch im Rahmen eines Erbgangs auf sie erfolgen. Allerdings ist zu beachten, dass insbesondere die personenbezogenen Merkmale i. d. R. nicht nutzbar sind, weil deren Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt sind.
Eine Erleichterung ist auch für den Fall vorgesehen, dass ein Ausscheiden der Beteiligung i. S. v. § 17 EStG aus der deutschen unbeschränkten Steuerpflicht dadurch erfolgt, dass eine Übertragung der Beteiligung auf einen Erben bzw. Beschenkten erfolgt, der in Deutschland nicht unbeschränkt stpfl. ist. Danach "gilt S. 1 entsprechend", wenn der Rechtsnachfolger innerhalb von fünf Jahren in Deutschland unbeschränkt stpfl. wird. Durch den Verweis auf § 6 Abs. 1 S. 1 AStG wird klargestellt, dass nur in den Fällen die Rechtsfolgen der Wegzugsbesteuerung nicht eintreten, wenn die Anteile in der Zwischenzeit nicht veräußert worden sind und kein Tatbestand des § 6 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1 oder 3 AStG verwirklicht wurde.
Die Regelung stellt auf den Rechtsnachfolger ab. Dies ist in den Fällen der Schenkung regelmäßig der Beschenkte. Unstreitig gilt als Rechtsnachfolger in den Fällen der Erbschaft die Gemeinschaft der Erben. Erhebliche Folgeprobleme ergeben sich in den Fällen des Vermächtnisses. Entscheidend hierfür ist, dass der Vermächtnisnehmer nicht Rechtsnachfolger des Erblassers ist bzw. möglicherweise erst durch die Erfüllung des schuldrechtlichen Herausgabeanspruchs durch die Erben das Ausscheiden der Beteiligung i. S. v. § 17 EStG aus der deutschen "Steuerverstrickung" eintritt.