Dietrich Weilbach, Birthe Kramer
7.1 Hinausschieben der Festsetzungfrist
Rz. 49
Nach § 16 Abs. 4 GrEStG endet die Festsetzungsfrist (§§ 169–171 AO) nicht vor Ablauf eines Jahres nach Eintritt des Ereignisses, das nach den Abs. 1–3 die Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung begründet. Dabei ist nicht allein der Zeitpunkt der rechtlichen, sondern auch der tatsächlichen Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs maßgebend. Erst dann entsteht der Anspruch auf Nichtfestsetzung der Steuer oder auf Aufhebung der Steuerfestsetzung (vgl. BFH v. 14.7.1999, BStBl II 1999, 737). Die Herabsetzung der Gegenleistung ermöglicht keine Änderung nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO: Wäre ein Ereignis, das unter § 16 Abs. 1 bis 3 GrEStG fällt, ein rückwirkendes Ereignis, würde mit Kaufpreisherabsetzung die Festsetzungsverjährungsfrist nach § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO erneut beginnen; § 16 Abs. 4 GrEStG liefe dann leer (vgl. BFH v. 22.7.2020, II R 15/18).
Der für die Anwendung des § 16 GrEStG notwendige Antrag ist Verfahrensvoraussetzung, um den Anspruch auf Nichtfestsetzung der Steuer oder die Aufhebung der Steuerfestsetzung durchzusetzen. Er stellt jedoch kein anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal dar. Der Antrag ist an keine bestimmte Form gebunden, er kann schriftlich, mündlich, ggf. auch durch konkludentes Handeln beim zuständigen Finanzamt (vgl. § 17 GrEStG) gestellt werden. Die Antragstellung selbst unterliegt keiner Fristbindung, muss aber innerhalb der Festsetzungsfrist (§ 169 AO; § 16 Abs. 4 GrEStG) erfolgen. Nach Ablauf der Festsetzungsfrist ist eine Änderung oder Aufhebung der Steuerfestsetzung nicht mehr zulässig (§ 169 S. 1 AO).
Einwendungen, die auf eine Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs gestützt werden, sind nicht einem getrennten Verfahren vorbehalten, sondern können ggf. auch in einem Einspruchsverfahren gegen die ursprüngliche Steuerfestsetzung berücksichtigt werden. Wird in einem solchen Fall der Erwerbsvorgang noch vor dem Ergehen der Entscheidung über den Einspruch gegen die ursprüngliche Steuerfestsetzung rückgängig gemacht, ist das Finanzamt verpflichtet, den Aufhebungsanspruch aus § 16 GrEStG spätestens in der Einspruchsentscheidung zu beachten. Bei einer späteren Rückgängigmachung bleibt dem Steuerpflichtigen unter den Voraussetzungen des § 67 FGO und bei Vorliegen aller Sachentscheidungsvoraussetzungen die Möglichkeit, seinen zunächst erhobenen Anfechtungsantrag im Wege der Klageänderung auf einen Verpflichtungsantrag umzustellen (vgl. BFH v. 16.2.2005, BStBl II 2005, 495).
Der Anwendungsfall des § 5 Abs. 3 GrEStG ist nunmehr nicht mehr im Katalog des § 16 Abs. 4 GrEStG enthalten. Damit soll verhindert werden, dass in Fällen des § 5 Abs. 3 GrEStG eine längere Verjährungsfrist dadurch bewirkt werden kann, dass die Festsetzungsfrist nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in welches das rückwirkende Ereignis fällt.
7.2 Anzeige des Erwerbsvorgangs nicht ordnungsgemäß (§ 16 Abs. 5 GrEStG)
Rz. 50
Nach § 16 Abs. 5 GrEStG gelten die Vorschriften der Abs. 1–4 des § 16 GrEStG nicht, wenn einer der in § 1 Abs. 2, 2a, 3 und 3a GrEStG bezeichneten Erwerbsvorgänge rückgängig gemacht wird, der nicht ordnungsgemäß angezeigt war. Die Vorschrift wirkt dem Anreiz entgegen, durch Nichtanzeige einer Besteuerung der in dieser Vorschrift genannten Erwerbsvorgänge zu entgehen (BFH v. 17.5.2017, II R 35/15, BStBl II 2017, 966; BFH v. 22.5.2019, II R 24/16, BStBl II 2020, 157). Der Gesetzgeber will mit dieser Bestimmung also vor allem Umgehungen der Steuerpflicht erschweren. Insbesondere soll damit verhindert werden, dass die Beteiligten einen der dort bezeichneten Erwerbsvorgänge ohne weitere steuerliche Folgen wieder aufheben können, sobald den Finanzbehörden ein solches Geschäft bekannt wird. Da die Finanzämter häufig keine Kenntnis von Erwerbsvorgängen nach § 1 Abs. 2, Abs. 2a, Abs. 3 und Abs. 3a GrEStG erhalten, könnten sich die Betroffenen nach Kenntniserlangung durch das Finanzamt einer Steuerpflicht dadurch entziehen, indem sie den Erwerbsvorgang rückgängig machen. Diese Möglichkeit ist durch § 16 Abs. 5 GrEStG vereitelt. Außerdem sollen mit der Regelung des § 16 Abs. 5 GrEStG auch die Anzeigepflichten aus §§ 18 und 19 GrEStG sichergestellt werden (vgl. BFH v. 20.1.2005, II B 52/04, BStBl II 2005, 492; BFH v. 2.3.2011, II R 64/08, BFH/NV 2011, 1009, m. w. N.; BFH v. 18.4.2012, II R 51/11, BStBl II 2013, 830; BFH v. 20.1.2015, II R 8/13, BFH/NV 2015, 756; BFH v. 3.3.2015, II R 30/13, BStBl II 2015, 777; zu den Folgen des Fehlens einer Anzeige nach § 16 Abs. 5 GrEStG vgl. BFH v. 17.5.2017, II R 35/15, BFH/NV 2017, 1270).
Der Ergänzungstatbestand des § 1 Abs. 3a GrEStG wurde durch Art. 26 Nr. 6 AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl I 2013, 1809, in den Regelungsbereich des § 16 Abs. 5 GrEStG aufgenommen.
Eine ordnungsgemäße Anzeige eines Erwerbsvorgangs liegt dann vor, wenn die Anzeige fristgerecht beim Finanzamt eingeht und sämtliche in §§ 18, 19, 20 GrEStG normierten Anforderungen erfüllt (BFH v. 2.3.2011, II R 64/08, BFH/NV 2011, 1009). Unter Berücksichtigung des Normzwecks und des Übermaßverbots verlangt es die Vorschrift des § 16 Abs...