Dietrich Weilbach, Wolfgang Baumann
Rz. 2
§ 23 GrEStG stellt bei der Anwendung des Grunderwerbsteuergesetzes 1983 in seiner ursprünglichen Fassung und der nachfolgenden, durch das JStG 1997, das StEntlG 1999/2000/2002 sowie das StÄndG 2001 geänderten Rechtsvorschriften des Gesetzes auf die "Verwirklichung des Erwerbsvorgangs" ab. Aus dem in diesem Zusammenhang verwendeten Begriff "Erwerbsvorgang" wird deutlich, dass Anknüpfungspunkt nicht der Grundstückserwerb selbst (= wirtschaftlicher Erfolg des Rechtsgeschäfts) ist, sondern ein i. S. d. § 1 Abs. 1 bis 3 GrEStG verwirklichter Rechtsvorgang (z. B. Abschluss eines Grundstückskaufvertrags). Entscheidend für die Anwendung des jeweiligen Rechts ist also, wann ein der Grunderwerbsteuer unterliegender Tatbestand i. S. d. § 1 Abs. 1, 2, 2a oder 3 GrEStG eingetreten ist. Auf die Entstehung der Steuer (vgl. § 38 AO und § 14 GrEStG) kommt es demzufolge nicht an.
Entsprechendes gilt auch für den zeitlichen Anwendungsbereich der Steuersätze für die Grunderwerbsteuer auf der Grundlage der hierzu ergangenen Ländergesetze (vgl. § 11 GrEStG Rz. 3), in denen für die Geltung der neuen Steuersätze stets auf den Zeitpunkt der Verwirklichung eines Rechtsvorgangs bzw. Erwerbsvorgangs abgestellt wird. So ist z. B. in § 3 des baden-württembergischen Gesetzes über die Festsetzung des Steuersatzes für die Grunderwerbsteuer v. 26.10.2011 (GBl BW 2011, 493) bestimmt, dass der erhöhte Steuersatz der Grunderwerbsteuer für Rechtsvorgänge gilt, die nach dem Tag der Verkündung des Gesetzes verwirklicht werden.
Verwirklicht ist ein Erwerbsvorgang nach der ständigen Rechtsprechung des BFH dann, wenn das darauf gerichtete Wollen der Vertragsparteien seinen Niederschlag in entsprechenden rechtsgeschäftlichen Erklärungen gefunden hat. Dies ist der Fall, wenn die abgegebenen Willenserklärungen der am Rechtsgeschäft Beteiligten diese im Verhältnis zueinander binden. Dabei spielt es keine Rolle, ob ein solcher Rechtsvorgang bereits zur Entstehung der Steuer geführt hat oder nicht (vgl. BFH v. 17.9.1986, II R 136/84, BStBl II 1987, 35; BFH v. 20.12.1989, II R 31/88, BStBl II 1990, 234; BFH v. 25.11.1992, II R 67/89, BStBl II 1993, 308; BFH v. 18.5.1999, II R 16/98, BStBl II 1999, 606; BFH v. 8.2.2000, II R 51/98, BStBl II 2000, 318; BFH v. 22.9.2004, II R 45/02, BFH/NV 2005, 1137 und BFH v. 29.9.2005, II R 23/04, BStBl II 2006, 137).
Die nach dem Zivilrecht (vgl. § 184 BGB und § 17 Abs. 2 UmwG) und im Steuerrecht (§ 2 Abs. 1 UmwStG i. V. m. § 17 Abs. 2 UmwG) möglichen zeitlichen Rückbeziehungen bleiben für Zwecke der Grunderwerbsteuer unberücksichtigt. Ebenso wenig kommt es grunderwerbsteuerrechtlich auf den Zeitpunkt des Übergangs von Nutzen und Lasten, die Zahlung des Kaufpreises und die Eintragung der Rechtsänderung in das Grundbuch an. Dasselbe gilt für den Zeitpunkt des Handelsregistereintrags einer neu gegründeten Personengesellschaft, die Grundbesitz erwirbt. Alle diese Vorgänge haben keine Auswirkungen auf den Zeitpunkt der Verwirklichung des grunderwerbsteuerlichen Tatbestands.
Bei Rechtsgeschäften, die zu ihrer Wirksamkeit keiner Genehmigung bedürfen, und bei Rechtsgeschäften, deren Wirksamkeit nicht vom Eintritt einer Bedingung abhängt, ist der Erwerbsvorgang im Zeitpunkt des Abschlusses des betreffenden Vertrags verwirklicht, weil bereits dann die Bindungswirkung der Beteiligten im Verhältnis zueinander eintritt. Hier besteht also – in zeitlicher Hinsicht – zwischen dem Eintritt der Steuerpflicht bzw. der Entstehung der Steuer (§ 38 AO) und der Verwirklichung des Erwerbsvorgangs keine Diskrepanz. Eine entsprechende Bindungswirkung ist auch bei aufschiebend bedingten Rechtsgeschäften zu bejahen, also z. B. bei einem Grundstückskaufvertrag, in dem die Verpflichtung zur Übereignung des Grundstücks vom Eintritt eines in der Zukunft liegenden ungewissen Ereignisses abhängig gemacht wird, es sei denn, es liegt insoweit eine Potestativbedingung vor. Eine Potestativbedingung ist gegeben, wenn bei einem Rechtsgeschäft der Bedingungseintritt und damit die Wirksamkeit ausschließlich vom Willen einer Partei abhängt. Ein Rechtsgeschäft mit einer solchen Bedingung ist z. B. anzunehmen bei Einräumung eines Ankaufs- oder Wiederkaufsrechts. Ohne Vorliegen einer solchen Potestativbedingung berührt die von den Vertragsparteien vereinbarte aufschiebende Bedingung ihren Bindungswillen nicht, sondern stellt lediglich eine von beiden Vertragsparteien übereinstimmend gewollte Nebenabrede des Rechtsgeschäfts dar. Die vereinbarte aufschiebende Bedingung führt allerdings dazu, dass die Grunderwerbsteuer erst mit dem Eintritt der Bedingung entsteht (§ 14 Nr. 1 GrEStG).
Mit FG Düsseldorf v. 29.7.2013, 7 K 563/13 GE (EFG 2013, 1873) wurde zwar die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung bestätigt, dass mit Eintritt der Bedingung eine neue Steuer entsteht, für die eine eigenständige Steuerfestsetzung durchzuführen ist. Entgegen der Verwaltungsauffassung sei aber der Steuersatz anzuwenden, der im Zeitpunkt der Verwirklichung des ursprünglichen Rechtsgeschäfts ...