Dietrich Weilbach, Birthe Kramer
4.3.1 Nicht vorhandene oder nicht zu ermittelnde Gegenleistung (§ 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GrEStG)
Rz. 16
Die erste Anwendungsalternative des § 8 Abs. 2 S. 1 GrEStG erfasst zunächst die Fälle, in denen eine Gegenleistung gänzlich fehlt. Sie kommt z. B. zum Tragen, wenn ein Grundstück als Gewinn eines Preisausschreibens erworben wird; ebenso verhält es sich beim Erwerb aufgrund eines Lotteriegewinns, da der geleistete Lospreis für den Erwerb des Loses und nicht für den Erwerb des Grundstücks gezahlt wurde. Weitere Fälle nicht vorhandener Gegenleistung sind
- die Zahlung eines symbolischen Kaufpreises von z. B. 1 EUR (siehe hierzu Abschn. 3.1 "Begriff und Umfang der Gegenleistung", Rz. 6),
- der Anfall eines Grundstücks an die in der Satzung bestimmten Personen anlässlich der Auflösung eines Vereins gem. § 45 BGB,
- der Anfall von Vereins- oder Stiftungsvermögen an den Staat (§ 45 Abs. 3, §§ 46 und 88 BGB, § 85 EGBGB),
- der Erwerb aufgrund eines Schadensersatzanspruchs (§ 249 BGB),
- die Herausgabe eines Grundstücks aufgrund der Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung (§§ 812ff. BGB),
- der Erwerb eines Grundstücks gegen bloße Übernahme einer auf dem Grundstück ruhenden dauernden Last (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 GrEStG – vgl. BFH v. 4.7.1984, II R 159/81, BStBl II 1984, 627),
- die Abtretung der Rechte aus einem Kaufangebot bzw. die Verpflichtung hierzu (§ 1 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 GrEStG – vgl. BFH v. 6.5.1969, II 131/64, BStBl II 1969, 595; BFH v. 10.7.1974, II R 12/70, BStBl II 1974, 772, und BFH v. 16.12.1981, II R 109/80, BStBl II 1982, 269),
- die Fälle auflösend bedingter bzw. unbedingter Sicherungsübereignung von Gebäuden auf fremdem Boden (vgl. koordinierter Ländererlass, z. B. FinMin Baden-Württemberg v. 15.5.1985, S 4500 A – 16/83 und § 2 GrEStG Rz. 38),
- die Fälle der unentgeltlichen Übertragung von Erschließungsanlagen von privaten Bauträgern auf Gebietskörperschaften. Da die Grundstücke mit den Erschließungsanlagen von den Gebietskörperschaften in Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgaben übernommen werden und nur für den öffentlichen Gebrauch bestimmt sind, ist hier von einem Wert von 0 EUR auszugehen (vgl. koordinierter Ländererlass, z. B. FinMin Baden-Württemberg v. 27.4.1998, DStR 1998, 894),
- Übertragungen von Grundstücken im Zusammenhang mit Maßnahmen nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz i. d. F. vom 21.3.1971 (BGBl I 1971, 337) – vgl. FinMin Baden-Württemberg v. 9.6.1998, DB 1998, 1308.
Rz. 17
Die von § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GrEStG ebenfalls erfassten Fälle, in denen eine Gegenleistung nicht zu ermitteln ist, sind in der Praxis selten. Eine Gegenleistung ist i. S. dieser Vorschrift nur dann nicht zu ermitteln, wenn sie dem Grunde nach nicht feststellbar ist, also wenn nicht festgestellt werden kann, ob überhaupt eine Gegenleistung vereinbart worden ist. Bei Unkenntnis des Werts einer dem Grunde nach bekannten Gegenleistung handelt es sich um keinen Anwendungsfall des § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GrEStG. Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Höhe der Gegenleistung, wie z. B. bei deren Bewertung, rechtfertigen keine Anwendung des § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GrEStG. Hier kann die Gegenleistung ggf. im Wege der Schätzung (§ 162 AO) gefunden werden (vgl. BFH v. 23.11.1972, II R 95/66, BStBl II 1973, 368). Nutzungen des Verkäufers ohne angemessenes Entgelt können zur Gegenleistung gehören (BFH v. 5.12.2019, II R 37/18; Vorinstanz: Sächsisches FG v. 22.6.2017, 6 K 1514/15).
4.3.2 Umwandlungen, Einbringungen und andere Erwerbsvorgänge auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage (§ 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 GrEStG)
Rz. 18
Die nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes ermittelten Grundbesitzwerte bzw. Grundstückswerte sollen auch in den Fällen der Umwandlung, Einbringung sowie bei anderen Erwerbsvorgängen auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage als Bemessungsgrundlage dienen (§ 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 GrEStG). Die durch das Jahressteuergesetz 1997 vom 20.12.1996 (BGBl. I 1996, 2049, 2062; BStBl I 1996, 1523) eingeführte Regelung stellt eine echte Durchbrechung des in § 8 Abs. 1 GrEStG aufgestellten Grundsatzes der Bemessung der Grunderwerbsteuer nach der Gegenleistung dar, da in diesen Fällen eine Gegenleistung durchaus vorhanden ist. Dies gilt auch für die Fälle der übertragenden Umwandlungsformen (Verschmelzung, Spaltung), bei denen dies lange Zeit umstritten war. Der BFH hat dann aber in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, das Vorliegen einer Gegenleistung könne nicht dadurch ausgeschlossen werden, dass sich aus dem Übergang des Eigentums an den Grundstücken mit der Eintragung der Umwandlung in das Handelsregister selbst keine Gegenleistung ergibt (vgl. BFH v. 29.1.1992, II R 36/89, BStBl II 1992, 418; BFH v. 19.1.1977, II R 161/74, BStBl II 1977, 359, und BFH v. 8.2.1978, II R 48/73, BStBl II 1978, 320). Ähnliches gilt für die Fälle der Anwachsung; auch hier ist eine Gegenleistung vorhanden (vgl. BFH v. 13.9.1995, II R 80/92, BStBl II 1995, 903). Gleichwohl soll die Gegenleistung aber in den bezeichneten Fällen nach dem Willen des Gesetzgebers nicht mehr der Besteuerung zugrunde gelegt werden (zur Verfassungskonformität dieser Regelung vgl. Rz. 15).
Nach dem bis einschließlich 1996 geltenden Recht war beim Übergang von Grundstücken auf eine ...