Dietrich Weilbach, Birthe Kramer
6.1 Allgemeines
Rz. 34
Die Übereignung im Inland belegener Grundstücke unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer. Der Besteuerungstatbestand ist in den meisten Fällen verwirklicht durch den Abschluss eines rechtsgültigen Kaufvertrags oder eines anderen Rechtsgeschäfts, das den Anspruch auf Übereignung begründet.
Es ist in das Belieben der Vertragsbeteiligten gestellt, ob sie ein Grundstück in dem Zustand übertragen, in dem es sich im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses befindet, oder ob sie das Grundstück mit einem noch zu errichtenden Gebäude oder einer noch zu errichtenden Eigentumswohnung zum Vertragsgegenstand machen. In einem solchen Fall kann in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer auch der Wert des zu errichtenden Gebäudes oder der Eigentumswohnung einbezogen werden. Der Veräußerer kann vom Finanzamt ggf. als Gesamtschuldner des gesamten Steuerbetrages herangezogen werden (vgl. dazu § 13 Rz. 6).
Wird ein unbebautes Grundstück veräußert, und übernimmt der Veräußerer keine weiteren Verpflichtungen, ist nur die nach dem Vertrag zu erbringende Gegenleistung i. S. d. § 9 GrEStG die Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Grunderwerbsteuer (§ 8 Abs. 1 GrEStG).
Werden neben dem Kaufvertrag weitere Verträge mit dem Ziel abgeschlossen, dass der Erwerber letztlich ein bebautes Grundstück erhält, muss geprüft werden, ob und in welchem Umfang die sich ergebenden Pflichten auf die Bemessungsgrundlage auswirken. Treten auf der Veräußerer- und Anbieterseite mehrere unterschiedliche Personen als Vertragsbeteiligte auf, können sich nach den Grundsätzen des einheitlichen Vertragswerks Auswirkungen auf die Bemessungsgrundlage ergeben.
6.2 Entwicklung und Bedeutung des einheitlichen Vertragswerkes für die Grunderwerbsteuer
6.2.1 Die rudimentäre Kodifikation
Rz. 35
Das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 hat mittelbar auch Auswirkungen bei dem einheitlichen Vertragswerk mit sich gebracht. Eine gesetzliche Regelung existiert zwar immer noch nicht; § 8 Abs. 2 S. 2 GrEStG bestimmt aber, dass unter bestimmten Umständen Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer auch das fertig gestellte Gebäude sein kann.
Damit wird jetzt an einer Stelle im Gesetz ein Rechtsbegriff umschrieben, der bei der Grunderwerbsteuer bisher in erster Linie über die höchstrichterliche Steuerrechtsprechung Eingang gefunden hat.
6.2.2 Der Grundfall und die Ausnahmen
Rz. 36
Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer ist grundsätzlich das Grundstück in dem Zustand, in dem es sich zur Zeit des Rechtsträgerwechsels befindet.
Ist das Grundstück zu diesem Zeitpunkt noch unbebaut, bedeutet dies, dass nur der Kaufpreis bzw. die Gegenleistung für das unbebaute Grundstück für die Festsetzung der Steuer herangezogen wird. Ist es bebaut, wird das Gebäude in die Bemessungsgrundlage einbezogen. Die Figur des einheitlichen Vertragswerkes erfasst ein Zwischenstadium.
Die einschlägigen Vorschriften des 3. Abschnittes im Grunderwerbsteuergesetz regeln diese Sachverhalte nicht.
6.2.3 Die richterliche Rechtsfortbildung
Rz. 37
Die Rechtsprechung hat Kriterien entwickelt, wonach abweichend von diesem Grundsatz Bau- oder sonstige vertragliche Leistungen in Zusammenhang mit der Bebauung eines Grundstücks in die grunderwerbsteuerliche Bemessungsgrundlage miteinbezogen worden sind. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH v. 30.8.2017, II R 48/15, BStBl II 2018, 24 m. w. N.) bestimmt der Kaufvertrag den für die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer maßgeblichen Erwerbsvorgangs. Weitere Vereinbarungen, die mit dem Kaufvertrag in (rechtlichem oder objektiv sachlichem) Zusammenhang stehen, können jedoch mit einbezogen werden. Es kommt auf die Umstände des Einzelfalls im Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstückskaufvertrags an. Zu fragen ist, ob der Erwerber seine Entscheidungsfreiheit im Hinblick auf die Bebauung aufgibt. Auf der Veräußererseite können mehrere Personen als Vertragspartner auftreten, die in ein "Vertragsgeflecht" miteinbezogen sein müssen, das unter Berücksichtigung aller Umstände darauf gerichtet ist, dem Erwerber als einheitlichen Erwerbsgegenstand das Grundstück in bebautem Zustand zu verschaffen. Zu prüfen ist, ob die auf Veräußererseite agierenden Personen personell, wirtschaftlich oder gesellschaftsrechtlich eng verbunden sind. Ist das nicht der Fall, reicht ein "hinwirken" auf die Bebauung des Grundstücks aus. Dabei müssen keine vertraglichen Abreden getroffen werden. Der BFH lässt es genügen, wenn Anhaltspunkte für Abreden der Veräußererseite festgestellt werden und benennt beispielhaft einen gemeinsamen Vermarktungsprospekt oder einen gemeinsamen Internetauftritt des Grundstücksveräußerers und des Bauunternehmens. Als "Abrede" genügt, dass der Veräußerer dem Erwerber (konkrete interessierte) Bauunternehmen benennt. Der Grundstückseigentümer muss selbst keine Aktivitäten entfalten, es kann ausreichen, wenn er den Bauunternehmer das Grundstück vermarkten lässt.
Das Rechtsinstitut des einheitlichen Vertragswerks hat für die Praxis erhebliche Folgen.
Denn eine vertragliche Bindung, die zum Zeitpunkt des Grundstücksübergangs dahin geht, ein auf dem Grundstück zu errichtendes Gebäude bereits in allen Detailplanungen festzulegen, kann zu ein...