Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
Erwerbsaufwand ist den Einkünften zuzurechnen, zu denen der engere und wirtschaftlich vorrangige Veranlassungszusammenhang besteht. Die Übernahme einer Bürgschaft durch den Arbeitnehmer zugunsten seines in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft tätigen Arbeitgebers kann durch das Arbeitsverhältnis veranlasst sein. Ist der Arbeitnehmer mittelbar an der Gesellschaft beteiligt, kann die Übernahme der Bürgschaft auch im Gesellschaftsverhältnis zur Obergesellschaft gründen.
Normenkette
§ 9 Abs. 1 Satz 1, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 17 EStG
Sachverhalt
K war an der E-GmbH (E) mit 50 % beteiligt und als ihr Geschäftsführer tätig, ebenso an der F GmbH (20 %) und der F KGaA (5,71 %). Die F KGaA übernahm die G-AG, die 100 % an der A&B-GmbH (A&B) hielt. K wurde Vertriebsleiter und später Geschäftsführer der A&B mit einem Monatsgehalt von 15.000 EUR. Die Hausbanken gewährten der A&B Darlehen (5 Mio. EUR, u.a. gesichert durch Landesbürgschaften). Die Landesbürgschaft setzte allerdings eine vorrangige Bürgschaft der Geschäftsführerebene voraus. So verbürgte sich K mit insgesamt 163.400 EUR und wurde daraus nach Insolvenz der A&B in Anspruch genommen. K machte die Aufwendungen zunächst als Verluste (nachträgliche Anschaffungskosten) i.S.d. § 17 EStG geltend; das FA lehnte dies mit Hinweis auf Ks nur mittelbare Beteiligung ab. Darauf machte K klageweise die Aufwendungen als Werbungskosten bei seinen Lohneinkünften geltend. Das FG gab der Klage statt (FG Köln, Urteil vom 28.5.2013, 15 K 259/12, Haufe-Index 6205774, EFG 2014, 256).
Entscheidung
Der BFH beurteilte, wie in den Praxis-Hinweisen erläutert, die Gesamtwürdigung des FG als möglich und in sich schlüssig und wies die Revision des FA zurück.
Hinweis
Das Besprechungsurteil führt das BFH-Urteil vom 8.7.2015 fort (VI R 77/14, BFH/NV 2016, 104, BFH/PR 2016, 32). Wieder geht es um die Frage, ob Verluste eines Arbeitnehmers aus für seinen Arbeitgeber übernommene Bürgschaften Werbungskosten sind. Während im Fall VI R 77/14 der Arbeitnehmer an seinem Arbeitgeber aber noch nicht unmittelbar beteiligt war, bestand hier nur ein mittelbares Beteiligungsverhältnis. Für diesen Fall der nur mittelbaren Beteiligung entwickelt der BFH den Rechtsmaßstab aus dem BFH-Urteil VI R 77/14 fort. Der Beteiligungsumfang bleibt wesentliches Indiz: Je höher die Beteiligung, umso mehr spricht für die gesellschaftsrechtliche Veranlassung und umgekehrt. Ist der Arbeitnehmer überhaupt nicht beteiligt, spricht alles für die Veranlassung durch das Arbeitsverhältnis, wenn private Motive, etwa Bürgschaften für Angehörige, auszuschließen sind. Vorweggenommene Werbungskosten einer künftigen Erwerbstätigkeit (hier Beteiligung) zuzurechnen, erfordert einen konkreten und objektiv feststellbaren Veranlassungszusammenhang. So, wie ein Erwerbsaufwand durch eine künftige Beteiligung gesellschaftsrechtlich veranlasst sein kann, kann dies auch bei einer mittelbaren Beteiligung sein, etwa um die unmittelbare Beteiligung finanziell zu stärken.
Die Würdigung, zu welchen Einkünften der engere wirtschaftlich vorrangige Veranlassungszusammenhang besteht, ist Sache der Tatsacheninstanz. Diese Würdigung ist revisionsrechtlich bindend, soweit keine Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze vorliegen; solche Verstöße lagen zwar im Fall VI R 77/14 vor, hier aber nicht. Entscheidend war die Verknüpfung zwischen der Landesbürgschaft und der Bürgschaft des K, der als Geschäftsführer der A&B Lohn bezog, aber kein Gesellschafter war. Dementsprechend musste K nicht darlegen, warum er nicht wegen der Beteiligung, sondern wegen seines Arbeitsverhältnisses die Bürgschaft übernommen habe. Mangels unmittelbarer Beteiligung konnten hier die streitigen Aufwendungen nicht durch § 17 EStG veranlasst sein. Allein die Einbeziehung der mittelbaren Beteiligung bei der Berechnung, ob eine qualifizierte Beteiligung (1 %) i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG vorliegt, begründet keinen Veranlassungszusammenhang zu den Einkünften aus § 17 EStG, der den zu § 19 EStG verdrängt hätte. Der Einwand des FA, K wolle die Firmen insgesamt zukunftsträchtig fortführen, ist allenfalls ambivalent, begründet aber keinen vorrangigen anderweitigen Veranlassungszusammenhang; denn eine zukunftsträchtige Fortführung sichert auch die Lohneinkünfte.
Die nur geringen unmittelbaren Beteiligungen Ks an der F GmbH und der F KG aA gaben keinen Anhalt dafür, dass die Bürgschaft vorrangig bezweckte, mittelbar der F GmbH sowie der F KGaA einen verdeckten Vorteil zukommen zu lassen. Außerdem ist zu beachten: Die Übernahme eigenkapitalersetzender Bürgschaften für eine Gesellschaft, an welcher der Anteilseigner nur mittelbar beteiligt ist, führt regelmäßig nicht zu nachträglichen Anschaffungskosten der unmittelbaren wesentlichen Beteiligung (BFH, Urteil vom 4.3.2008, IX R 78/06, BFH/NV 2008, 1039, BFH/PR 2008, 342).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 3.9.2015 – VI R 58/13