Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Führt ein Unternehmer eine Leistung aus, muss für die Prüfung der Steuerbarkeit zuerst festgestellt werden, ob es sich um eine Lieferung oder um eine sonstige Leistung handelt. Abhängig vom jeweiligen Leistungstatbestand ergeben sich Unterschiede in der Festlegung des Orts der Leistung und für die Prüfung einer evtl. zu gewährenden Steuerbefreiung. Besondere Probleme ergeben sich, wenn es sich um Leistungen handelt, die sowohl Elemente von Lieferungen als auch Elemente von sonstigen Leistungen enthalten. In diesen Fällen muss abgegrenzt werden, ob es sich um eine Werklieferung oder um eine Werkleistung handelt. Dabei kommt es nach § 3 Abs. 4 UStG darauf an, ob der Unternehmer bei der Ausführung seiner Leistung nur Nebensachen oder Zutaten verwendet oder ob darüber hinaus auch für die Leistung relevante "Hauptstoffe" verwendet werden. Folgende Alternativen können sich ergeben:
Werklieferung setzt Be- oder Verarbeitung eines Gegenstands voraus
Eine Werklieferung liegt nicht alleine deshalb vor, weil der leistende Unternehmer bei einer Leistung auch Hauptstoffe verwendet. Bei der Leistung muss auch ein Gegenstand, der nicht dem leistenden Unternehmer gehört, be- oder verarbeitet werden. Die Finanzverwaltung wendet diese Rechtsprechung an, es wird aber für alle vor dem 1.1.2021 ausgeführten Leistungen nicht beanstandet, wenn die Unternehmer noch die bisherige Fassung des Abschn. 3.8 Abs. 1 UStAE anwenden, die für die Werklieferung nicht ausdrücklich die Be- oder Verarbeitung eines fremden Gegenstands forderte. Die Be- oder Verarbeitung eines dem leistenden Unternehmer gehörenden Gegenstands führt zu einer Lieferung.
Ob der Unternehmer bei der von ihm ausgeführten Leistung einen "Hauptstoff" oder nur Nebensachen oder Zutaten verwendet, bestimmt sich aus der Sicht eines "Durchschnittsbetrachters". Im letzteren Fall dürfen die verwendeten Gegenstände nicht das Wesen des Umsatzes ausmachen.
Wertmäßige Abgrenzung nur in Ausnahmefällen möglich
Die Abgrenzung muss grundsätzlich nach qualitativen Kriterien erfolgen. Eine quantitative Abgrenzung (überwiegt der Entgeltsanteil für das Material oder für die Arbeitsleistung?) darf nicht vorgenommen werden. Nur in Ausnahmefällen kann bei der Reparatur beweglicher körperlicher Gegenstände – soweit nicht nach den allgemeinen Abgrenzungskriterien zweifelsfrei entschieden werden kann, ob eine Werklieferung oder Werkleistung vorliegt – von einer Werklieferung ausgegangen werden, wenn mehr als 50 % des Gesamtentgelts auf das verwendete Material entfällt.
Ob es sich um eine Lieferung oder eine Werklieferung handelt, ist aber nicht nur für die Bestimmung des Orts der Lieferung und einer evtl. anwendbaren Steuerbefreiung von Bedeutung. Erhebliche praktische Auswirkungen können sich auch ergeben, wenn der leistende Unternehmer ein ausländischer Unternehmer ist. Wird in Deutschland eine steuerbare und steuerpflichtige Werklieferung durch einen ausländischen Unternehmer ausgeführt, geht die Steuerschuldnerschaft nach § 13b Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 13b Abs. 5 Satz 1 UStG auf den Leistungsempfänger über, handelt es sich nur um eine reine Lieferung, kann das Reverse-Charge-Verfahren grundsätzlich nicht zur Anwendung kommen.