Leitsatz
1. Ab der Eintragung einer Ausgliederung im Handelsregister muss der Widerspruch gegen eine Gutschrift, die auf einem von der Ausgliederung umfassten Vertrag beruht, dem übernehmenden Rechtsträger gegenüber erklärt werden.
2. Hat ein Unternehmer auf die Steuerfreiheit eines Umsatzes dadurch verzichtet, dass er dem Leistungsempfänger den Umsatz unter gesondertem Ausweis von Umsatzsteuer in Rechnung gestellt hat, kann er den darin liegenden Verzicht nur dadurch rückgängig machen, dass er dem übernehmenden Rechtsträger als Leistungsempfänger eine berichtigte Rechnung ohne Umsatzsteuer erteilt.
Normenkette
§ 14 Abs. 2 Sätze 2 und 3, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2, § 25c Abs. 3 UStG, Art. 178 Buchst. a, Art. 220, Art. 224 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), § 123 Abs. 3 Nr. 1, § 131 Nr. 1 UmwG
Sachverhalt
Die Klägerin war bis zu einer Ausgliederung im August 2010 u.a. operativ im Geschäftsbereich "Edelmetalle" tätig. Sie erfasste die Umsätze hieraus bis einschließlich August 2010 und firmierte bis zur Ausgliederung unter X-AG.
Den Geschäftsbereich "Edelmetalle" gliederte die Klägerin durch Vertrag vom 6.7.2010 nach den Vorschriften des UmwG zur Aufnahme in die zuvor gegründete X-GmbH aus. Sämtliche dem Geschäftsbereich zuzuordnenden Vermögensgegenstände und Schulden und alle sonstigen Rechte und Pflichten sowie Rechtsbeziehungen (insbesondere auch die Liefer- und Einkaufsverträge) gingen auf die Übernehmerin über. Am 13.8.2010 erfolgte die Eintragung im Handelsregister. Die Umsätze nach der Ausgliederung meldete die übernehmende X-GmbH an.
Nach der Ausgliederung firmierte die Klägerin als Y-AG und seit 2014 als Y-GmbH.
Die Klägerin hatte vor der Ausgliederung Gold von S und H erworben. Über die Lieferungen erteilte die Klägerin zulässigerweise ordnungsgemäße, als "Ankaufsrechnungen" bezeichnete Gutschriften mit gesondertem Steuerausweis.
Am 21.7.2010 wurden die Geschäftsräume der Klägerin von der Steuerfahndung durchsucht, weil ein anderer Lieferant Gold steuerpflichtig an die Klägerin geliefert hatte, ohne die USt an das für ihn zuständige FA abgeführt zu haben. Die Klägerin teilte der Steuerfahndung dabei auch S und H als Lieferanten mit. Aufgrund dieser Hinweise konnten mithilfe der Klägerin 270.000 EUR gesichert und Strafverfahren gegen S und H wegen Hinterziehung von USt eingeleitet werden.
Im September 2010 widersprach S in einem Schreiben an die X-AG sämtlichen Gutschriften der X-AG und bat um Übermittlung geänderter "Ankaufsrechnungen" über den bisherigen Bruttobetrag ohne Steuerausweis, da es sich bei den Lieferungen um gemäß § 25c Abs. 2 UStG steuerfreie Lieferungen von Anlagegold handele. Das für S zuständige FA setzte gleichwohl für dessen Umsätze weiter USt fest, die teilweise bezahlt wurde. Das seit Juli 2012 laufende Insolvenzverfahren über das Vermögen des S wurde 2016 aufgehoben.
Im November 2010 widersprach H gegenüber der X-AG den "Ankaufsrechnungen" und übermittelte eigene Rechnungen an die X-AG ohne Ausweis von USt, da es sich um steuerfreie Goldlieferungen nach § 25c UStG gehandelt habe. Er übernahm die Bruttobeträge der erteilten Gutschriften jeweils als Nettobeträge und verwies auf die Steuerbefreiung des § 25c UStG.
In ihrer im Juli 2011 beim FA eingegangenen USt-Erklärung für das Jahr 2010 (Streitjahr) machte die Klägerin (wie in den Voranmeldungen) u.a. die an H und S gezahlte USt als Vorsteuer geltend; das FA stimmte der Steueranmeldung zu.
Nach einer Außenprüfung bei der Klägerin vertrat das FA die Auffassung, durch die Widersprüche gegen die Gutschriften hätten S und H den Verzicht auf die Steuerbefreiung des § 25c UStG wirksam rückwirkend widerrufen. Der Vorsteuerabzug der Klägerin sei daher zu kürzen. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das FG (FG Nürnberg, Urteil vom 27.10.2020, 2 K 483/18, 2 K 1687/18, Haufe-Index 14464062) wies die Klage ab. Das FA habe den Vorsteuerabzug aus den Gutschriften zu Recht versagt, weil diese nach dem Widerspruch durch H und S nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten. Die mit Wirkung vom 13.8.2010 erfolgten Umwandlungsmaßnahmen stünden dem nicht entgegen.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und gab der Klage statt.
Hinweis
1. Das Besprechungsurteil streift grundlegende Probleme im Bereich der Abrechnung durch Gutschrift, um sie dann zu umschiffen:
a) Ist es wirklich zutreffend, dass beim Widerspruch gegen eine Gutschrift von FA und FG nicht zu prüfen ist, ob der Widerspruch zu Recht erfolgt ist (Nachweise s. Rz. 39)? Die Ausführungen des BFH in Rz. 47 deuten eher in eine andere Richtung.
b) Auch lassen die Formulierungen des BFH in Rz. 52 eine gewisse Distanz zu der bisherigen Rechtsprechung erkennen, wonach der Widerruf des Verzichts auf eine Steuerbefreiung wirksam sein soll, obwohl der Unternehmer zum Verzicht auf die Steuerbefreiung zivilrechtlich verpflichtet ist.
c) Dass ein Dritter einem Steuerpflichtigen ein bereits ausgeübtes Recht auf Vorsteuerabzug durch vertragswidriges Verhalten einseitig nachträglich wieder nehmen kann, könnte der EuGH anders seh...