Leitsatz

Die wirksame Bekanntgabe eines an einen Bevollmächtigten adressierten schriftlichen Verwaltungsakts, der im Inland durch die Post übermittelt wird und diesem tatsächlich zugeht, ist nicht davon abhängig, dass die Außenvollmacht des Bevollmächtigten im Bekanntgabezeitpunkt noch besteht.

 

Normenkette

§ 80 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, § 108 Abs. 3, § 122 Abs. 1 Sätze 1 und 3, Abs. 2 Nr. 1, § 124 Abs. 1 Satz 1 AO, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 56 FGO

 

Sachverhalt

Die Klägerin hatte – nachdem ihr Einspruch gegen einen Steuerbescheid vom FA mit einer Einspruchsentscheidung zurückgewiesen worden war – Klage beim FG erhoben. Das FA hatte die Einspruchsentscheidung zunächst an den ihr von der Klägerin benannten Bevollmächtigten gesandt. Dieser schickte die Einspruchsentscheidung an das FA zurück und teilte mit, seine Vollmacht sei zwischenzeitlich widerrufen worden. Daraufhin wurde die Einspruchsentscheidung zeitnah an die Klägerin gesandt, die jedoch erst Monate später selbst Klage erhob. Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Die am 4.1.2021 beim FG eingegangene Klage sei nicht innerhalb der einmonatigen Klagefrist des § 47 Abs. 1 FGO erhoben worden. Die an den (ursprünglich) Bevollmächtigten adressierte und am 30.9.2020 zur Post aufgegebene Einspruchsentscheidung gelte am 5.10.2020 als bekannt gegeben. Die Klagefrist sei daher am 5.11.2020 abgelaufen. Unerheblich sei, dass das FA nach Aufgabe der Einspruchsentscheidung zur Post, aber vor dem 5.10.2020 vom Widerruf der Vollmacht Kenntnis erlangt habe (FG Münster, Gerichtsbescheid vom 3.11.2021, 6 K 24/21 E,U,F, EFG 2022, 217, Haufe-Index 15004316).

 

Entscheidung

Die Revision der Klägerin hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen.

 

Hinweis

1. Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO beträgt die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage einen Monat; sie beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf (Einspruchsentscheidung).

2. Gemäß § 122 Abs. 1 Satz 1 AO ist ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird; er kann aber gemäß Satz 3 der Vorschrift auch gegenüber einem Bevollmächtigten bekannt gegeben werden. § 122 Abs. 1 Satz 3 AO räumt der Finanzbehörde mithin ein Ermessen ein, ob sie den Verwaltungsakt an den Beteiligten oder an dessen Bevollmächtigten bekannt gibt.

3. Wird die Einspruchsentscheidung durch die Post übermittelt (§ 366 i.V.m. § 122 Abs. 2 AO), gilt sie gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn sie nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist.

4. Nach diesen Grundsätzen ist die Einspruchsentscheidung dem (ursprünglich) Bevollmächtigten der Klägerin am 5.10.2020 wirksam bekannt gegeben worden. Die einmonatige Klagefrist war daher zum Zeitpunkt der Klageerhebung (4.1.2021) abgelaufen.

a) Denn die Einspruchsentscheidung ist laut Absendevermerk des FA am 30.9.2020 zur Post gegeben worden. Sie gilt daher dem (ursprünglich) Bevollmächtigten als am Montag, dem 5.10.2020, bekannt gegeben (§ 108 Abs. 3 und § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO).

b) Der Bekanntgabevermutung gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO steht nicht entgegen, dass das FA nach der Aufgabe der Einspruchsentscheidung zur Post durch das bei ihm am 2.10.2020 eingegangene Schreiben von dem Widerruf der Vollmacht durch den (ursprünglich) Bevollmächtigten Kenntnis erlangt hat.

aa) Nach § 80 Abs. 1 Satz 3 AO wird der Widerruf der Vollmacht der Finanzbehörde gegenüber (erst) wirksam, wenn er ihr zugeht. Bis zu diesem Zeitpunkt kann das FA noch wirksam Verfahrenshandlungen i.S.v. § 80 Abs. 1 Satz 2 AO gegenüber dem Bevollmächtigten vornehmen (s. BFH, Urteil vom 14.11.2012, II R 14/11, BFH/NV 2013, 693, Rz 13).

bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die wirksame Bekanntgabe eines an einen Bevollmächtigten adressierten Verwaltungsakts, der durch die Post übermittelt wird, nicht davon abhängig, dass die Vollmacht – anders als im Streitfall – auch bei Ablauf der Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AOnoch besteht.

cc) Auch hat das FA das ihm gemäß § 122 Abs. 1 Satz 3 AO eingeräumte Ermessen, die Einspruchsentscheidung vom 30.9.2020 dem (ursprünglich) Bevollmächtigten der Klägerin anstatt der Klägerin selbst bekannt zu geben, fehlerfrei ausgeübt. Angesichts dessen ist die vorliegende Klage verfristet.

5. Durch die Übersendung der Einspruchsentscheidung an die Klägerin wurde keine neue Klagefrist in Gang gesetzt. Zwar hat das FA die Einspruchsentscheidung nach der Anzeige des Widerrufs der Vollmacht durch den (ursprünglich) Bevollmächtigten am 8.10.2020 noch einmal unmittelbar an die Klägerin übersandt. Dies ist jedoch unerheblich, da der Klägerin die Einspruchsentscheidung nach ihrem eigenen Vortrag nicht zugegangen ist.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 8.2.2024 – VI R 25/21

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