Rz. 21
Das steuerliche Betriebsvermögen setzt sich aus positiven und negativen Wirtschaftsgütern zusammen, wobei die negativen Wirtschaftsgüter – ersatzweise wird häufig der zutreffendere Begriff "wirtschaftliche Last" verwendet – grundsätzlich mit den Schulden gleichgestellt werden. Da der handelsrechtliche Begriff der Schulden ebenfalls wirtschaftliche Einflussfaktoren beinhaltet, wird der Zusammenhang beider Begriffe deutlich. Ähnlich wie die Schulden umfassen auch die negativen Wirtschaftsgüter alle "echten Passivposten", sodass auch das Eigenkapital und die Wertberichtigungen nicht zu den negativen Wirtschaftsgütern zu rechnen sind. Wendet man die für die Interpretation des positiven Wirtschaftsgutes maßgebenden Kriterien analog an, sind nach derzeitiger Auffassung folgende wesentliche Merkmale für das Vorliegen eines negativen Wirtschaftsgutes zu beachten:
Rz. 22
- Vorliegen zukünftiger Aufwendungen: Wie beim positiven Wirtschaftsgut ergibt sich auch hierbei keine Übereinstimmung mit dem betriebswirtschaftlichen Aufwandsbegriff, vielmehr wird dieses Merkmal als erfüllt angesehen, wenn entweder in der Zukunft Ausgaben anfallen oder Sachleistungen zu erbringen sind, wobei es auf die Fälligkeit der Leistung nicht ankommt. Grundsätzlich lässt sich das Kriterium im Hinblick auf das Vorliegen einer Leistungsverpflichtung auslegen.
Rz. 23
- Vorliegen einer wirtschaftlichen Last: Bei analoger Anwendung des bei der Auslegung des positiven Wirtschaftsgutes angewendeten Kriteriums des zukünftigen Nutzens würde jeder wirtschaftliche Nachteil in einer späteren Periode eine Aufwandsentstehung begründen. Das Vorliegen einer wirtschaftlichen Last wird nicht nur bei rechtlich voll entstandenen Verpflichtungen – sofern ihnen bei schwebenden Geschäften nicht ein betragsgleicher Gegenanspruch gegenübersteht – bejaht, sondern auch dann, wenn Verpflichtungen wirtschaftlich verursacht sind, d. h. bei wirtschaftlicher Betrachtung mit großer Wahrscheinlichkeit verursacht sind. Die wirtschaftliche Verursachung setzt laut BFH voraus, dass die ungewisse Verbindlichkeit "eng mit dem betrieblichen Geschehen des [...] Wirtschaftsjahres verknüpft ist", was dann der Fall sein soll, wenn die "wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale der Rückzahlungspflicht in diesem Zeitraum erfüllt wurden und das Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt". Moxter interpretiert dieses Kriterium als Vorliegen einer unkompensierten Verpflichtung, d. h., dass erwartete künftige Ausgaben in konkretisierter Form bereits realisierten Erträgen zugerechnet werden können, wobei aus Objektivierungsgründen in der Regel der Tatbestand, der zu der Ausgabe führt, im Wesentlichen vor dem Bilanzstichtag verwirklicht sein muss. Während eine wirtschaftliche Last zu bejahen ist, wenn sich das Unternehmen einer Verpflichtung aus wirtschaftlichen, sittlichen oder sozialen Gründen nicht entziehen kann, führen aufschiebend bedingte Verbindlichkeiten nur bei erwartetem, wahrscheinlichem Bedingungseintritt zu einer wirtschaftlichen Last.
Rz. 24
- Selbstständige Bewertbarkeit: Auch wenn der BFH das Merkmal der selbstständigen Bewertbarkeit nicht eindeutig von dem des Vorliegens einer wirtschaftlichen Last trennt, werden mithilfe dieses Kriteriums die Rückstellungen für Innenverpflichtungen abgegrenzt gegen Verpflichtungen gegenüber Dritten. Freericks weist zu Recht darauf hin, dass bei Fehlen einer Verpflichtung gegenüber einem Dritten bereits ein Erfordernis der wirtschaftlichen Last nicht erfüllt ist. Moxter hält eine Ausschließung der Innenverpflichtungen aus dem Begriff des Wirtschaftsgutes nur für gerechtfertigt, wenn die entsprechenden Verpflichtungen – wie z. B. die für unterlassene Instandhaltungen – auch durch Wertherabsetzung der jeweiligen Aktivpositionen berücksichtigt werden können.
Rz. 25
Bei Auslegung des negativen Wirtschaftsgutes im Hinblick auf das Vorliegen einer Verpflichtung gegenüber einem Dritten stimmen der handelsrechtliche Schuldenbegriff und der steuerrechtliche Wirtschaftsgutsbegriff grundsätzlich überein. Wie auch bei den Schulden werden durch die Definition der Verpflichtung bzw. wirtschaftlichen Last die maßgeblichen wirtschaftlichen Einflussfaktoren berücksichtigt, sodass sich eine gesonderte Behandlung der sachlichen Zurechnungsfrage erübrigt.
Voraussetzung für die Bilanzierungsfähigkeit einer Verpflichtung ist ihre Zugehörigkeit zum Betriebsvermögen und nicht zum Privatvermögen. Analog zur Behandlung der Vermögensgegenstände bzw. Wirtschaftsgüter erfolgt bei Kapitalgesellschaften der Ausweis der "in ihrem Namen begründeten Schulden unabhängig von deren Veranlassung". Bei Personengesellschaften sind die Gesamthandsverpflichtungen obligatorischer Bestandteil der Bilanz – bis auf wenige Ausnahmefälle, in denen steuerlich eine Zurechnung zum Betriebsvermögen nicht akzeptiert wird, wenn eine betriebliche Veranlassung nicht gegeben ist –, womit sich Abg...