Dr. Birger Brandt, Prof. Jürgen Brandt
Leitsatz
1. Bewohnen Ehegatten gemeinsam eine der Ehefrau gehörende Wohnung, nutzt die Ehefrau die Wohnung auch dann zu "eigenen" Wohnzwecken i.S.d. § 10e EStG, wenn sie ihrem Ehemann ein dingliches Wohnungsrecht an der gesamten Wohnung bestellt hat.
2. Der Vorkostenabzug nach § 10e Abs. 6 Satz 1 EStG steht dem Steuerpflichtigen auch dann zu, wenn er wegen Überschreitens der Einkunftsgrenze des § 10e Abs. 5a EStG nicht zur Inanspruchnahme der Grundförderung nach § 10e Abs. 1 EStG berechtigt ist.
Normenkette
§ 10e Abs. 1 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin erwarb entgeltlich von ihrem Vater eine Eigentumswohnung. Sie räumte dem Kläger, ihrem mit ihr zusammen veranlagtem Ehemann, ein lebenslanges Wohnrecht an der Wohnung ein und bewohnte sie mit ihm gemeinsam. In ihrer Einkommensteuererklärung machten die Kläger vor Bezug entstandene Aufwendungen als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG geltend.
FA und FG lehnten die Berücksichtigung dieser Aufwendungen mit der Begründung ab, die Klägerin habe die Wohnung nicht aufgrund ihres Eigentums bewohnt, sondern aufgrund der Überlassung durch den Kläger, der als Inhaber des dinglichen Wohnungsrechts Nutzungsberechtigter gewesen sei. Der Kläger sei mangels Eigentums an der Wohnung nicht zum Vorkostenabzug berechtigt.
Entscheidung
Nach Auffassung des BFH kann der Kläger als dinglich Wohnberechtigter mangels wirtschaftlichen Eigentums die vor Bezug entstandenen Aufwendungen nicht als Vorkosten abziehen (BFH, Urteil vom 12.4.2000, X R 20/99, BFH/NV 2001, 9).
Dagegen steht dieser Anspruch der Klägerin als zivilrechtlicher Eigentümerin trotz des dinglichen Wohnrechts ihres Ehemanns zu, weil "eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken" lediglich den rein tatsächlichen Vorgang des Bewohnens durch den Eigentümer, ggfs. zusammen mit Angehörigen oder anderen in den Haushalt aufgenommenen Personen, erfordert. Die eingeräumte Mitnutzung der Wohnung durch den Ehegatten beruhe auf der wechselseitigen Unterhaltspflicht der Eheleute. Infolgedessen könne nicht angenommen werden, der Eigentümer-Ehegatte wohne aufgrund der Gestattung des dinglich Nutzungsberechtigten, nachdem er den Anspruch des anderen Ehegatten auf Mitbewohnen der gemeinsamen Wohnung durch Einräumung eines dinglichen Wohnungsrechts abgesichert habe.
Der Vorkostenabzug scheitere auch nicht an der Überschreitung der Einkunftsgrenze des § 10e Abs. 5a EStG von 240 000 DM, weil § 10e Abs. 6 EStG als eigenständiger Begünstigungstatbestand unabhängig von der Grundförderung nach § 10e Abs. 1 bis 5a EStG zu gewähren sei.
Hinweis
Der X. Senat legt den Begriff "Nutzung zu eigenen Wohnzwecken" in § 10e Abs. 1 EStG weit aus. So hat er u.a. die Überlassung einer Wohnung an unterhaltsberechtigte Kinder außerhalb des Familienhaushalts und die Nutzung einer Wohnung durch den nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten an dessen Arbeitsort als Nutzung zu eigenen Wohnzwecken des Wohnungseigentümers angesehen (vgl. Urteile vom 26.1.1994, X R 94/91, BStBl II 1994, 544 und vom 28.5.1998, X R 21/95, BStBl II 1998, 563).
Mit der Rezensionsentscheidung hat er nunmehr eine solche Nutzung zu eigenen Wohnzwecken aufgrund tatsächlicher Wohnnutzung durch den Eigentümer auch für den Fall bejaht, dass dieser seinem Ehegatten an derselben Wohnung ein dingliches Wohnungs- oder Nießbrauchsrecht eingeräumt hat (a.A. – kein Anspruch auf Wohneigentumsförderung nach § 10e EStG oder § 2 EigZulG, wenn sich die Nutzungsbefugnis nicht aus seinem Eigentumsrecht, sondern aus dem dinglichen Nutzungsrecht eines Dritten ableitet – FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.6.1995, 4 K 1653/94, EFG 1995, 1016; FG Münster, Urteil vom 10.9.1998, 1 K 4410/98 EZ, EFG 1998, 1674; Stephan, Die Wohneigentumsförderung, 6. Aufl., S. 163, 164; Wacker, Eigenheimzulagengesetz, 3. Aufl., § 4 Rz. 5).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 5.9.2001, X R 29/00