Leitsatz
1. Begibt sich ein Kind zum Zweck des Studiums für mehrere Jahre ins Ausland, behält es seinen Wohnsitz in der Wohnung der Eltern im Inland nur dann bei, wenn es diese Wohnung zum zwischenzeitlichen Wohnen in ausbildungsfreien Zeiten nutzt.
2. Die Absicht des Kindes, nach Beendigung des Auslandsstudiums in die Bundesrepublik zurückzukehren, besagt nichts darüber, ob der Wohnsitz bei den Eltern zwischenzeitlich beibehalten wird.
3. Auch bei langjährigen Auslandsaufenthalten kann ein Wohnsitz des Kindes jedenfalls dann gegeben sein, wenn es sich im Jahr fünf Monate im Inland in der Wohnung der Eltern aufhält.
Normenkette
§ 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 8 AO
Sachverhalt
Die Kläger, gebürtige Türken mit deutscher Staatsangehörigkeit, haben eine 1976 geborene Tochter (T), die gleichfalls seit 1995 die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. T hielt sich seit ihrer Geburt bis 1984 in der Bundesrepublik auf. Nach wechselnden Aufenthalten in der Türkei und der Bundesrepublik kehrte T 1990 in die Türkei zurück. Sie besuchte dort das Gymnasium, erwarb die allgemeine Hochschulreife und schloss dort im Juli 1997 das Studium mit einem Diplom ab. Nur in den Semesterferien besuchte sie ihre Eltern. Nach dem Studium kehrte T in die Bundesrepublik zurück. Das FG gab der Klage statt. Die Kläger hätten für die Jahre 1996 und 1997 einen Anspruch auf Kindergeld, da T ihren Wohnsitz bei ihren Eltern im Inland gehabt habe.
Entscheidung
Die Entscheidung Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück. Die Auffassung der Vorinstanz beruhe auf einer nicht hinreichend ermittelten Tatsachengrundlage und halte einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Hinweis
Kindergeld erhält derjenige, der im Inland über einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt verfügt, nur für diejenigen Kinder, die ebenfalls im Inland, in einem Mitgliedstaat der EU oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt innehaben. Die vorliegende Grundsatzentscheidung befasst sich mit zahlreichen Fragen im Zusammenhang mit Auslandsaufenthalten von Kindern (Wohnsitz im Inland oder Ausland, Bestehen von zwei Wohnsitzen nebeneinander, vorübergehende räumliche Trennung vom Wohnort, zeitlich beschränkte Maßnahme im Ausland, Rückkehrabsicht, Rechtsprechung des BSG usw.).
Die ungewöhnlich ausführliche Entscheidung liest sich wie ein Kompendium zur Frage des Wohnsitzes bzw. des gewöhnlichen Aufenthalts von Kindern bei Auslandsaufenthalten. Auf die zahlreichen Einzelfragen in dieser Entscheidung, die weit über den Inhalt der o.a. Leitsätze hinausgehen, kann hier nicht näher eingegangen werden. Die Grundsatzentscheidung sollte aber in jedem Einzelfall sorgfältig studiert und zu Rate gezogen werden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 23.11.2000, VI R 107/99