1. Gesetzliche Regelung und Entwicklung der erweiterten Grundstückskürzung
Die Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 1 GewStG existiert bereits seit Einführung des GewStG im Jahr 1936 (vgl. Burbaum/Wessels, NWB MAAAH-50170 [Stand: 1.12.2022] Rz. 6 m.w.N.). Zweck der Kürzungsvorschrift nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG ist nach wie vor die Vermeidung der doppelten Besteuerung von betrieblichem Grundbesitz mit Grundsteuer und Gewerbesteuer. Zweck der Kürzungsvorschrift nach § 9 Nr. 1 Satz 2 ff. GewStG ist dagegen die Gleichstellung von Kapitalgesellschaften mit natürlichen Personen und vermögensverwaltenden Personengesellschaften, die ausschließlich eigenen Grundbesitz verwalten. Denn während die sog. einfache Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG lediglich eine Kürzung des Gewerbeertrags als gewerbesteuerliche Bemessungsgrundlage um 1,2 % des Einheitswertes von betrieblichem Grundbesitz vorsieht und damit zu einer pauschalen Minderung der Gewerbesteuerbelastung um eine typisierte Grundsteuerbelastung führt, können Unternehmen, die die gesetzlichen Voraussetzungen des § 9 Nr. 1 Satz 2 ff. GewStG erfüllen, dagegen eine weitgehende Vermeidung der Belastung mit Gewerbesteuer erreichen (vgl. R 9.1 Abs. 1 Satz 4 GewStR 2016, und Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages v. 15.5.2012 – WD 4 – 3000 – 116/12, S. 4; und Gosch in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, Stand: 164. EL 11/2022, § 9 GewStG Rz. 45).
Der Kreis der Anwender, die auf Antrag von der sog. erweiterten Kürzung profitieren können, ist durch die gesetzlichen Anforderungen des § 9 Nr. 1 Satz 2 ff. GewStG stark eingegrenzt. Antragsberechtigt sind nur Unternehmen, die im gesamten gewerbesteuerlichen Erhebungszeitraum i.S.d. § 14 Satz 2 und 3 GewStG die folgenden Voraussetzungen erfüllen:
Die Tätigkeit besteht ausschließlich
- in der Verwaltung eigenen Grundbesitzes oder
- zusätzlich in der Verwaltung und Nutzung eigenen Kapitalvermögens und/oder
- zusätzlich in der Betreuung von Wohnungsbauten und/oder
- zusätzlich in der Errichtung und Veräußerung von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern oder Eigentumswohnungen (nachfolgend: EFH, ZFH und ETW).
Bei Erfüllung der Tätigkeitsvoraussetzungen ist nur der Teil des Gewerbeertrags kürzungsberechtigt, der auf die Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes entfällt. Der Teil des Gewerbeertrags, der auf neben der Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes unschädliche Tätigkeiten entfällt, unterliegt dagegen voll der Besteuerung mit Gewerbesteuer, sofern keine der anderen Kürzungsvorschriften für den Gewerbeertrag in Bezug auf diese Tätigkeiten einschlägig ist (vgl. § 9 Nr. 1 Satz 2 letzter Halbsatz GewStG).
Mit der Neufassung des § 9 Nr. 1 Satz 3 GewStG durch das am 10.6.2021 verkündete Fondsstandortgesetz (BGBl. I 2021, 1498) wurde der Katalog der unschädlichen, jedoch nicht begünstigten Tätigkeiten um weitere "wohnungsnahe Nebentätigkeiten" mit bestimmten Voraussetzungen erweitert:
Abb. 1: Differenzierungstableau unschädlicher Tätigkeiten i.S.d. § 9 Nr. 1 Satz 2 und 3 GewStG
Unschädliche Tätigkeiten nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG |
+ |
Verwaltung und Nutzung von eigenem Kapitalvermögen |
+ |
Betreuung von Wohnungsbauten |
+ |
Errichtung und Veräußerung von EFH, ZFH oder ETW |
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Unschädliche Tätigkeiten nach § 9 Nr. 1 Satz 3 GewStG a.F. und n.F. |
+ |
Errichtung und Veräußerung von Teileigentum an Gebäuden, die zu mehr als 2/3 Wohnzwecken dienen |
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Unschädliche Tätigkeiten nach § 9 Nr. 1 Satz 3 GewStG n.F. |
+ |
Einnahmen aus der Lieferung von Strom |
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- im Zusammenhang mit dem Betrieb von Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien oder
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+ |
Einnahmen aus anderen unmittelbaren Vertragsbeziehungen mit Mietern,
- wenn die Einnahmen nicht höher als 5 % der Einnahmen aus der Gebrauchsüberlassung des Grundbesitzes sind.
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Quelle: Eigene Darstellung.
Die bereits bisher nach § 9 Nr. 1 Satz 3 GewStG a.F. unschädliche Tätigkeit der Errichtung und Veräußerung von Teileigentum bei Gebäuden, die zu mindestens zwei Dritteln Wohnzwecken dienen, wurde dabei neu unter lit. a gefasst. Eine Erweiterung des Katalogs der unschädlichen Tätigkeiten stellen damit nur die unter lit. b und lit. c genannten Tätigkeiten dar. Dabei handelt es sich um die Lieferung von Strom im Zusammenhang mit dem Betrieb von Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien (lit. b, aa) und die Lieferung von Strom aus dem Betrieb von Ladestationen für Elektrofahrzeuge oder Elektrofahrräder (lit. b, bb). Einschränkend ist dabei zu beachten, dass die Einnahmen aus diesen Tätigkeiten objektübergreifend nicht höher als 10 % der Einnahmen (Nettowarmmiete) aus der Vermietung sämtlicher Grundstücke der betroffenen Gesellschaft im jeweiligen Erhebungszeitraum sein dürfen. Zudem sieht der Halbs. 2 des § 9 Nr. 1 Satz 3 lit. b GewStG einschränkend eine Schädlichkeit der Stromerzeugung aus erne...