Leitsatz
1. Der Verzicht auf Steuerbefreiungen nach § 9 UStG kann zurückgenommen werden, solange die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung anfechtbar oder aufgrund eines Vorbehalts der Nachprüfung gem. § 164 AO noch änderbar ist (Klarstellung der Rechtsprechung).
2. Eine Änderung nach § 174 Abs. 3 AO ist auch dann gerechtfertigt, wenn das FA zunächst keinen Steuerbescheid erlassen hat, dieses Unterlassen aber auf der erkennbaren Annahme beruht, ein bestimmter Sachverhalt sei in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen.
Normenkette
§ 9 UStG, § 164, § 168, § 169, § 170, § 174 Abs. 3 AO
Sachverhalt
Die VT-GmbH lieferte in 1991 ein Grundstück aufgrund eines Verzichts steuerpflichtig an die NBG-GmbH. Die NBG-GmbH wurde 1996 auf die Klägerin verschmolzen. Die Klägerin war zudem seit 1996 Organgesellschaft der DIH-KG. In 1997 vereinbarten die DIH-GmbH als Gesamtrechtsnachfolger der VT-GmbH und die Klägerin die Rückgängigmachung des Verzichts. Die DIH-KG ging zunächst davon aus, dass sie als Organträger den Vorsteuerabzug für das Widerrufsjahr zu berichtigen habe, und reichte eine entsprechende Umsatzsteuerjahreserklärung 1997 ein, die einer Steuerfestsetzung gleichstand (§ 168 Satz 1 AO). In 2004 machte die DIH-KG geltend, dass die Berichtigung für 1997 rückgängig zu machen sei, da der Widerruf zu einer Berichtigung im Abzugsjahr (1991) führe. Dem schloss sich das FA an und erließ am 20.1.2005 einen geänderten Umsatzsteuerjahresbescheid 1997. Darüber hinaus änderte das FA durch Bescheid vom 1.2.2005 gegenüber der Klägerin die Umsatzsteuerfestsetzung 1991 gem. § 174 AO und berichtigte damit den Vorsteuerabzug. Einspruch und Klage (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.10.2011, 7 K 7198/07, Haufe-Index 2924127, EFG 2012, 797) blieben ohne Erfolg.
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz. Der Leistende habe den Verzicht in 1997 wirksam widerrufen. Aufgrund der Rückgängigmachung der Berichtigung des Vorsteuerabzugs für 1997 bei der DIH-KG sei das FA zu einer Berichtigung für 1991 gegenüber der Klägerin nach § 174 Abs. 3 AO berechtigt gewesen. Der Änderung stehe nicht Satz 2 dieser Vorschrift entgegen, da der angefochtene Änderungsbescheid für 1991 am 1.2.2005 ergangen sei, während die Festsetzungsfrist zur Umsatzsteuer 1997 des Änderungsbescheids vom 20.1.2005 gem. § 171 Abs. 4 Satz 1 AO erst am 24.2.2005 abgelaufen sei.
Hinweis
1. In zeitlicher Hinsicht kann der Unternehmer den Verzicht auf die Steuerfreiheit nach § 9 UStG solange widerrufen, wie die Steuerfestsetzung für das Kalenderjahr noch anfechtbar oder nach § 164 AO änderbar ist (s. hierzu BFH, Urteil vom 19.12.2012, V R 6/12, BFH/PR 2014, 271).
2.Erklärt der leistende Unternehmer den Widerruf des Verzichts, hat der Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug zu berichtigen, da es aufgrund des Widerrufs an einer gesetzlich geschuldeten Steuer fehlt. Die Berichtigung ist für das Jahr vorzunehmen, in dem der Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug geltend gemacht hat (Abzugsjahr), nicht aber für das Jahr, in dem der Widerruf erfolgt (Widerrufsjahr).
3. Berichtigt der Leistungsempfänger zunächst den Vorsteuerabzug unzutreffender Weise für das Widerrufsjahr, macht er dann mit Erfolg geltend, dass für das Abzugsjahr zu berichtigten ist, und schließt sich das FA dem für das Widerrufsjahr an, ist das FA gem. § 174 Abs. 3 AO zur Korrektur der Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr berechtigt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.12.2013 – V R 7/12