OFD Magdeburg, Verfügung v. 3.3.2014, S 7300 - 123 - St 244
In seiner Entscheidung vom 15.7.2010 (EuGH-Urteil vom 15.7.2010, Rs C-368/09, Pannon Gép Centrum kft, UR 2010 S. 693) führt der EuGH aus, dass der aufgrund fehlerhafter Angaben in einer Rechnung ursprünglich zu Unrecht geltend gemachte Vorsteuerabzug erhalten bleibt, wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt sind und der Steuerpflichtige der Finanzbehörde vor Erlass ihrer Entscheidung eine berichtigte (ordnungsgemäße) Rechnung zugeleitet hat.
1. Folgerechtsprechung
Mehrere Finanzgerichte gingen in der Folge davon aus, dass eine Rechnungsberichtigung auch unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils Pannon Gép keine Rückwirkung zukomme, weil sich der EuGH nicht ausdrücklich zu dieser Problematik geäußert habe.
Eine Rückwirkung trotz des EuGH-Urteils in Sachen Pannon Gép lehnen ab:
- FG Rheinland-Pfalz Urteil vom 23.9.2010, 6 K 2089/10, UR 2010 S. 863 (BFH vom 25.3.2011, V B 94/10, BFH/NV 2011 S. 1404, Nichtzulassungsbeschwerde unbegründet abgewiesen)
- FG Niedersachsen vom 25.10.2010, 5 K 425/08, DStRE 2011 S. 1337 (bestätigt durch BFH vom 19.6.2013, XI R 41/10, BFH/NV 2013 S. 2041
- FG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 22.2.2011, 5 V 5004/11, UR 2011 S. 505, EFG 2011 S. 1295
- FG Köln vom 16.10.2012, 8 K 2753/08, EFG 2013 S. 168 (BFH vom 11.4.2013, V R 32/12, BFH/NV 2013 S. 1426 ; Revision führt wegen Insolvenz des Klägers zur Rückverweisung an das FG)
- FG Köln vom 13.7.2011, 2 K 2695/10
- FG Hamburg vom 6.12.2011, 2 V 149/11, DStRE 2013 S. 93 = 12 05 87
Andere Finanzgerichte verstehen die Entscheidung Pannon Gép dahingehend, dass der EuGH eine rückwirkende Rechnungsberichtigung für den Fall zulassen wollte, dass dem Finanzamt vor Erlass des (ablehnenden) Steuerbescheids die berichtigte Rechnung bereits vorgelegen hat.
Der BFH hat zwischenzeitlich in zwei Verfahren zum einstweiligen Rechtsschutz ernstliche Zweifel geäußert, ob der Vorsteuerabzug aus einer zunächst fehlerhaften Rechnung auch zu versagen ist, wenn diese Rechnung berichtigt wird, sofern das zunächst erteilte Dokument die Mindestanforderungen (Rechnungsaussteller, Leistungsempfänger, Leistungsbeschreibung, Entgelt, gesondert ausgewiesene Steuer) an eine Rechnung erfüllt (BFH vom 20.7.2012, V B 82/11, BStBl 2012 II S. 809 und vom 10.1.2013, XI B 33/12, BFH/NV 2013 S. 783).
In seiner Entscheidung (EuGH-Urteil vom 8.5.2013, Rs C-271/12 Petroma Transport, UR 2013 S. 591) hatte der EuGH den Sonderfall zu beurteilen, dass der Kläger die berichtigten oder ergänzten Rechnungen erst viele Jahre nach einer rechtskräftigen gerichtlichen Ablehnung des Vorsteuerabzugs vorgelegt hat und insoweit eine rückwirkende Berichtigung abgelehnt.
In der Entscheidung vom 19.6.2013 (BFH-Urteil vom 19.6.2013, XI R 41/10) versagte der XI. Senat des BFH die rückwirkende Anerkennung auf den Zeitpunkt des ‚ursprünglichen’ Vorsteuerabzugs, weil im Urteilsfall keine berichtigten, sondern erstmals erstellte Rechnungen auf den Zeitpunkt des Leistungsbezugs zurückwirken sollten.
2. Trotz dieser teilweise entgegenstehenden Rechtsprechung ist eine rückwirkende Rechnungsberichtigung abzulehnen.
Der Vorsteuerabzug setzt voraus, dass eine ordnungsgemäße Rechnung i.S. des § 14 Abs. 4 UStG vorliegt (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG). Der Vorsteuerabzug ist daher ausgeschlossen, wenn die Rechnung einen irgendwie gearteten Formfehler enthält, weil – auch wenn die Rechnung sachlich richtig ist – die materiell-rechtlichen nationalen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug bei einer formell fehlerhaften Rechnung nicht erfüllt sind.
Im Fall von Rechnungsberichtigungen nach § 31 Abs. 5 UStDV ist der Vorsteuerabzug erst zu dem Zeitpunkt möglich, in dem die Berichtigung erfolgte und diese dem Rechnungsempfänger übermittelt worden ist (Abschnitt 15.2 Abs. 5 UStAE).
Der EuGH hatte mit Urteil vom 29.4.2004, Rs C-152/02, Terra Baubedarf-Handel GmbH UR 2004 S. 323, hinsichtlich des Zeitpunkts der Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs entschieden, dass der Vorsteuerabzug erst zu dem Zeitpunkt zu gewähren ist, in dem sowohl die sachlichen als auch die formellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erstmals vorliegen.
3. Ruhen des Einspruchsverfahrens sowie Aussetzung der Vollziehung
Da das BFH-Verfahren V R 32/12 ohne Urteil zurückverwiesen wurde, ist das Ruhen weiterer Einspruchsverfahren nach § 363 Abs. 2 AO unter Berufung auf dieses BFH-Verfahren nicht (mehr) möglich.
Bisherige oder künftige Einspruchsverfahren sind daher mit dem Hinweis auf das vor dem Finanzgericht Sachsen-Anhalt unter dem Aktenzeichen 3 K 572/12 anhängige Verfahren ruhen zu lassen, wenn die ursprüngliche Rechnung den Mindestanforderungen (Angabe zum Rechnungsaussteller, Leistungsempfänger, Leistungsbeschreibung, Entgelt und gesondert ausgewiese...