Leitsatz
1. Berichtigt der Unternehmer eine Rechnung nach § 31 Abs. 5 UStDV, wirkt dies auf den Zeitpunkt zurück, in dem die Rechnung erstmals ausgestellt wurde (Änderung der Rechtsprechung).
2. Eine berichtigungsfähige Rechnung liegt jedenfalls dann vor, wenn sie Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer enthält.
3. Die Rechnung kann bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem FG berichtigt werden.
Normenkette
§ 14, § 14a, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG, § 31 Abs. 5 UStDV, Art. 18 Abs. 1 Buchst. a, Art. 22 Abs. 3 EWGRL 388/77 (= 6. EG-RL), Art. 178 Buchst. a, Art. 219, Art. 226 EG-RL 112/2006 (= MwStSystRL)
Sachverhalt
Die Klägerin machte den Vorsteuerabzug aus mehreren Rechnungen geltend. Es handelte sich um Rechnungen eines Rechtsanwalts unter dem Briefkopf seiner Kanzlei mit dem Betreff "Beratervertrag". Sie enthielten zur Kennzeichnung des Leistungsgegenstandes den Satz: "Ich erlaube mir, das vereinbarte Beraterhonorar wie folgt abzurechnen". Rechnungen einer Unternehmensberatung lauteten auf "allgemeine wirtschaftliche Beratung" und auf "betriebswirtschaftliche Beratung". Das Finanzamt versagte den Vorsteuerabzug und hielt hieran auch im Einspruchsverfahren fest. Während des finanzgerichtlichen Verfahrens berichtigten die Leistenden gegenüber der Klägerin die Rechnungen. Gleichwohl hatte die Klage zum Finanzgericht keinen Erfolg (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.6.2015, 7 K 7377/11, EFG 2015, 1650).
Entscheidung
Auf die Revision der Klägerin hob der BFH das Urteil des Finanzgerichts auf und gab der Klage statt. Der Rechnungsberichtigung komme Rückwirkung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung zu. Der BFH konnte dabei offenlassen, ob die ursprünglichen Rechnungen ordnungsgemäß waren und ob ein Vorsteuerabzug auch ohne Rechnungsberichtigung aufgrund Unterlagen in Betracht kommt, die der Leistungsempfänger dem Finanzamt vorgelegt hatte.
Hinweis
1. Nimmt der Unternehmer den Vorsteuerabzug aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Rechnung in Anspruch, ist ihm der Vorsteuerabzug zu versagen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG). Bislang galt dies auch dann, wenn er zu einem späteren Zeitpunkt eine berichtigte Rechnung mit nunmehr ordnungsgemäßen Rechnungsangaben erhielt. BFH und Finanzverwaltung gingen für diesen Fall von einem Vorsteuerabzug erst für den Voranmeldungszeitraum der Rechnungsberichtigung aus. Die zeitliche Verschiebung war für den Vorsteuerabzug selbst unerheblich, führte aber häufig zu erheblichen Zinsnachteilen im Rahmen der Vollverzinsung nach § 233a AO.
2. Der BFH hat nunmehr nach Maßgabe des EuGH-UrteilsSenatex (EuGH, Urteil vom 15.9.2016, C-518/14, EU:C:2016:691) mit dieser Sichtweise unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung gebrochen. Der BFH erkennt nunmehr die Rückwirkung der Rechnungsberichtigung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungsausstellung an. Dies beruht auf § 31 Abs. 5 UStDV, den der BFH richtlinienkonform nach Maßgabe des EuGH-Urteils Senatex auslegt. Dabei ist nicht nach der Art der fehlerhaften Rechnungsangabe zu differenzieren.
3. Welche Anforderungen ein Dokument erfüllen muss, damit es als berichtigungsfähige Rechnung gilt, ist offen. Ein Bierdeckel oder eine Visitenkarte werden wohl nicht ausreichen. Der BFH geht von einer berichtigungsfähigen Rechnung jedenfalls dann aus, wenn ein Dokument Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer enthält. Weitergehende Detailfragen wird möglicherweise erst der EuGH klären.
4. Zeitliche Grenze für die Rechnungsberichtigung und ihre Berücksichtigung für einen Vorsteuerabzug im Jahr der erstmaligen Rechnungserteilung ist der Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht. Dies folgt aus allgemeinen Grundsätzen. Ein Abstellen auf den Erlass einer Einspruchsentscheidung als Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung wäre nur dann in Betracht gekommen, wenn die Berücksichtigung einer Rechnungsberichtigung im Ermessen des Finanzamts stünde, was nach Maßgabe der Rechtsprechung von EuGH und BFH aber nicht der Fall ist.
5. Wie bei jeder Änderung stellen sich Folgefragen:
a) Denkbar wäre, in der Rechnungsberichtigung ein rückwirkendes Ereignis zu sehen, sodass sich über § 175 AO erweiterte Korrekturmöglichkeiten ergeben. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass es sich beim Erfordernis der ordnungsgemäßen Rechnung um eine Ausübungsvoraussetzung und nach der EuGH-Rechtsprechung um eine formelle Bedingung für den Vorsteuerabzug handelt. Wäre danach davon auszugehen, dass die Rechnung eher als Beweismittel anzusehen ist, spräche dies wohl gegen die Annahme eines rückwirkenden Ereignisses. Nicht völlig klar ist die aktuelle Sichtweise des BFH hierzu. Er formuliert insoweit derzeit, dass "der Besitz der Rechnung materielle Anspruchsvoraussetzung für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug" ist.
b) Hat der Unternehme...