Leitsatz
1. Materiell-rechtliche gemeinschaftsrechtliche Vorschriften wie die über das gemeinschaftliche Versandverfahren gelten in der Regel nicht für vor ihrem In-Kraft-Treten entstandene Sachverhalte.
2. Zur Zuständigkeit der Abgangszollstelle für die Erhebung der Eingangsabgaben, wenn die zum gemeinschaftlichen Versandverfahren abgefertigten Waren der Bestimmungszollstelle nicht wiedergestellt wurden.
3. Sind zum gemeinschaftlichen Versandverfahren abgefertigte Waren der Bestimmungszollstelle nicht wiedergestellt worden und ist der Ort der Zuwiderhandlung nicht bekannt, so kann die Abgangszollstelle dem Hauptverpflichteten auch noch nach Ablauf der dafür vorgeschriebenen Frist von 11 Monaten die Frist für den Nachweis des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung oder die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens setzen (Bestätigung der Rechtsprechung in BFHE 186, 171).
Normenkette
VO (EWG) Nr. 222/77 i.d.F. der VO (EWG) Nr. 474/90 Art. 26 Abs. 1 (jetzt Art. 356 Abs. 2 ZKDVO), Art. 36 Abs. 1 und Abs. 3 , VO (EWG) Nr. 1062/87 i.d.F. der VO (EWG) Nr. 1429/90 Art. 11a (jetzt geregelt in Art. 215 ZK i.V.m. Art. 378, 379 ZKDVO)
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 01.02.2000, VII R 16/99
Klägerin des vorausgegangenen Verfahrens war eine Zollspedition, die am 20.5.1992 als Hauptverpflichtete im Auftrag einer polnischen Firma durch eine Abgangszollstelle des HZA bestimmte Waren zum gemeinschaftlichen Versandverfahren nach einem Bestimmungsort in Frankreich abfertigen ließ. Die Frist, innerhalb derer die Sendung der Bestimmungszollstelle wieder zu gestellen war, wurde auf den 26.5.1992 festgesetzt. Da das Versandverfahren nicht erledigt wurde, forderte das HZA die Klägerin am 9.12.1993 auf, innerhalb von drei Monaten den Nachweis der ordnungsmäßigen Erledigung oder des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung zu erbringen. Nach einem – ergebnislos verlaufenen – Suchverfahren nahm das HZA mit Steuerbescheid vom 4.4.1995 die Klägerin als Hauptverpflichtete für Eingangsabgaben (Zoll und Einfuhrumsatzsteuer) in Anspruch.
Der BFH entschied, dass der Steuerbescheid gegen die Klägerin zu Recht ergangen sei. Sie sei – neben anderen Zollschuldnern – Hauptverpflichtete für die Eingangsabgaben gewesen. Der BFH hielt auch die deutschen Zollbehörden zur Erhebung der Eingangsabgaben für zuständig . Zu der Zeit, als der Klägerin als Hauptverpflichteten die Frist zum Nachweis des tatsächlichen Orts der Zuwiderhandlung oder der ordnungsgemäßen Durchführung des Verfahrens gesetzt wurde, stand nicht fest, wo die Zuwiderhandlung begangen wurde. In einem solchen Fall gilt die Zuwiderhandlung grundsätzlich in dem Mitgliedstaat begangen, zu dem die Abgangszollstelle gehört (Art. 36 Abs. 3 VersandVO). War danach die Zuständigkeit Deutschlands für die Erhebung der Abgaben gegeben, so mußten die Abgaben nach den hier geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften erhoben werden. Nach Auffassung des BFH hat das HZA diesen Vorschriften entsprochen. Zwar muß die Abgangszollstelle dem Hauptverpflichteten nach Art. 11 a Abs. 1 VersandDVO so schnell wie möglich und spätestens vor Ablauf des 11. Monats – gerechnet vom Zeitpunkt der Registrierung und Versandanmeldung an – mitteilen, wenn eine Sendung der Bestimmungszollstelle nicht gestellt wurde und der Ort der Zuwiderhandlung nicht ermittelt werden kann. Die zuständige Abgangszollstelle kann den Hauptverpflichteten allerdings auch noch nach Ablauf der 11-Monatsfrist wirksam auffordern, weil es sich bei der 11-Monatsfrist nicht um eine Ausschlußfrist handelt.