Besondere Anforderungen und Restriktionen
[Ohne Titel]
StB Helmut Tormöhlen, VorsRiLG a.D.
Steuer- und Zollfahndung greifen bei Durchsuchungen auch auf Datenmaterial aus Finanz- und Lohnbuchhaltung, Warenwirtschaftssystemen und weitere betriebliche Dokumentationen zu. Dasselbe gilt prinzipiell auch für Handy-Daten und Inhalte von (elektronischer) Telekommunikation. Bei letzterer Fallgruppe stellt das Grundrecht des Post- und Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 Abs. 1 GG besondere Anforderungen und macht Restriktionen erforderlich.
I. Einleitung
Angesichts der fortschreitenden Digitalisierung der Unternehmen und der daraus folgenden Bedeutung elektronischer Datentechnik im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist es in der Praxis der Steuer- und Zollfahndung selbstverständlich, bei einer Durchsuchung nicht allein auf die Hardware, sondern auch auf Datenmaterial eines Verdächtigen, Beschuldigten und unverdächtiger Dritter aus Finanz- und Lohnbuchhaltung, Warenwirtschaftssystemen und weitere betriebliche Dokumentationen zuzugreifen (vgl. Krullmann / Teutemacher, AO-StB 2022, 196). Dasselbe gilt prinzipiell auch für Handy-Daten und Inhalte von (elektronischer) Telekommunikation, wenngleich bei letzterer Fallgruppe das Grundrecht des Post- und Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 Abs. 1 GG besondere Anforderungen stellt und Restriktionen erforderlich macht.
II. Beschlagnahme von Hardware und Software
Die Fahndungsbeamten sind berechtigt, Computer und sonstige EDV-Anlagen einzuschalten und zu betreiben, um nach beweiserheblichen Daten zu suchen. Rechner, Datenträger und sonstige Bestandteile der EDV-Anlage des Beschuldigten können beschlagnahmt werden (Krug in Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2020, § 399 AO Rz. 98). Anerkannt ist inzwischen, dass aber auch Daten als unverkörperte Gegenstände grundsätzlich der Beschlagnahme nach § 94 StPO unterliegen (BVerfG v. 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02, wistra 2005, 295; BVerfG v. 16.6.2009 – 2 BvR 902/06, BVerfGE 124, 43; Webel in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 399 AO Rz. 139; Jäger in Klein, AO, 17. Aufl. 2023, § 399 Rz. 40a; Wehner in Wannemacher & Partner, Steuerstrafrecht, Handbuch, 6. Aufl. 2013, Rz. 3593; Eschelbach in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 4. Aufl. 2020, § 94 Rz. 8; Grommes in Rolletschke/Kemper/Roth, Steuerstrafrecht, § 399 AO Rz. 76, 120 [April 2018]; Tormöhlen in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 399 AO Rz. 51n [April 2020]; wohl auch Greven in Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 94 Rz. 4a; Gercke in Gercke/Temming/Zöller, StPO, 7. Aufl. 2023, § 94 Rz. 18). Der dazu erforderliche Zugriff auf fremde Computerprogramme ist urheberrechtlich erlaubt (§ 45 UrhG).
Elektronische Post: Häufig ist naturgemäß auch die Beschlagnahme elektronischer Post. Dabei ist zu beachten, dass noch auf dem Server gespeicherte oder sonst auf dem Übermittlungsweg befindliche Nachrichten, die vom Empfänger noch nicht abgerufen worden sind, den spezifischen Anforderungen der §§ 100a ff. StPO unterliegen, weil für sie das Grundrecht aus Art. 10 GG gilt. Das Abspeichern im E-Mail-Eingang stellt dagegen keine Telekommunikation mehr dar, die des besonderen Grundrechtsschutzes bedürfte. Auch Chatnachrichten aus einem beschlagnahmten Mobiltelefon dürfen ausgelesen werden, da hierbei nicht der technische Übermittlungsvorgang betroffen ist (BGH 7.5.2019 – AK 13-14/19, juris).
Allgemein zugängliche Datenbestände: Auf allgemein zugängliche Datenbestände, auch von Nutzerkonten des Betroffenen in öffentlichen sozialen Netzwerken, die grundsätzlich jeden Interessenten aufnehmen und danach allgemein Zugang gewähren (z.B. "Facebook"), darf im Rahmen einer offenen Beschlagnahme nach §§ 94 ff. StPO ohne besondere Ermächtigung zugegriffen werden (gl.A. Graf in BeckOK/StPO, § 100a Rz. 91 [Oktober 2023]; Grommes in Rolletschke/Kemper/Roth, Steuerstrafrecht, § 399 AO Rz. 91 [April 2018]).
III. EDV-Zugriff
1. Durchsicht von Speichermedien
Zulässige Dauer der Datendurchsicht: Die Mitnahme des Rechners oder der sonstigen Bestandteile der EDV-Anlage zur Durchsicht nach § 110 Abs. 1 StPO i.V.m. § 399 Abs. 1 AO ist noch keine Beschlagnahme, sondern dient dazu, über eine mögliche Beschlagnahme zu entscheiden. Somit ist die Durchsicht noch Teil der Durchsuchung. Auch die Durchsicht von Daten auf Datenträgern für Computer (USB-Sticks, externe Festplatten usw.), die bei einer Durchsuchung vorgefunden werden, unterliegen nach der Rspr. der Regelung des § 110 StPO. Die Durchsuchung ist bei elektronisch gespeicherten Daten erst dann abgeschlossen, wenn sämtliche Datenbestände der betreffenden EDV-Anlage zumindest auf der Ebene der Inhaltsverzeichnisse (sog. directories) gesichtet worden sind. Hierfür gibt es keine starren Fristen, binnen derer die Durchsicht abgeschlossen sein muss (LG Dessau-Roßlau v. 3.1.2017 – 2 Qs 236/16, StraFo 2017, 108; LG Ravensburg v. 2.7.2014 – 2 Qs 19/14, NStZ-RR 2014, 348; LG Mühlhausen v. 3.3.2002 – 6 Qs 56/03, StraFo 2003, 237; Webel in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § ...