Dipl.-Finanzwirt Rüdiger Happe
Leitsatz
Ändert sich die höchstrichterliche Rechtsprechung und sind daraufhin Rückstellungen zwingend zu berichtigen, so ist diese Berichtigung in der Schlussbilanz des ersten Jahres vorzunehmen, in dem die Veranlagung noch geändert werden kann.
Sachverhalt
Die Klägerin gewährt Aktiven und Pensionären im Krankheitsfall Beihilfen. Für die Gruppe der Pensionäre hat sie in der Bilanz zum 31.12.1998 eine Rückstellung gebildet, die durch die Bp im Jahre 2000 nicht anerkannt wurde. Der Einspruch ruhte. Nachdem der BFH mit Urteil vom 30.01.2002 (I R 71/00, BStBl II 2003, 279) entschieden hatte, dass auch für die Beihilfegewährung an aktive Mitarbeiter während der Zeit ihres Ruhestandstands eine Rückstellung in der Handels- und Steuerbilanz zu bilden ist, erweiterte die Klägerin ihr Einspruchsbegehren. Das FA lehnte dieses mit der Begründung zurück, eine Bilanzberichtigung käme mangels eines Bilanzierungsfehlers nicht in Betracht. Mit der Klagebegründung wird vorgetragen, dass die Bilanz des Streitjahres fehlerhaft sei, soweit dort keine Rückstellung für künftige Beihilfeverpflichtungen an aktive Mitarbeiter gebildet worden seien. Es sei zwischen objektiver und subjektiver Fehlerhaftigkeit eines Bilanzansatzes zu unterscheiden. Zwar sei der Bilanzansatz im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung - also vor der Rechtsprechungsänderung - subjektiv richtig gewesen, weil sie den bei pflichtgemäßer und gewissenhafter Prüfung objektiv bestehenden Erkenntnismöglichkeiten entsprochen hätten. Nach Ergehen des BFH-Urteils sei diese Bilanz jedoch objektiv falsch geworden, weil ihre Fehlerhaftigkeit durch die höchstrichterliche Rechtsprechung objektiv offenbar geworden sei. Im Fall einer Änderung höchstrichterlicher Rechtsprechung sei der Bilanzansatz des ersten Jahres, dessen Veranlagung noch geändert werden könne, zu korrigieren. Das FA hält daran fest, dass eine Bilanzberichtigung im Streitjahr mangels Bilanzierungsfehler nicht in Betracht komme, da ein Bilanzansatz nur dann fehlerhaft sei, wenn er objektiv gegen ein handelsrechtliches oder steuerrechtliches Bilanzierungsgebot oder -verbot verstoße und der Steuerpflichtige diesen Verstoß im Zeitpunkt der Bilanzerstellung habe erkennen können. Wenn nach Bilanzerstellung eine Änderung der Rechtsprechung erfolge und der Steuerpflichtige von diesem Umstand nach Bilanzerstellung Kenntnis erlange, so werde der fortbestehende oder unterbliebene Bilanzansatz damit erst in der Bilanz fehlerhaft, in der die Änderung der Rechtsprechung erstmals hätte berücksichtigt werden können.
Entscheidung
Die Klägerin durfte und musste in ihrer Bilanz zum 31.12.1998 nachträglich eine Rückstellung auch für solche Beihilfen im Krankheitsfall bilden, die an aktive Mitarbeiter nach Eintritt in den Ruhestand zu zahlen sind. Die unterlassene Bildung dieser Rückstellung stellt einen Bilanzierungsfehler dar, der nach den Grundsätzen des formellen Bilanzzusammenhangs in der Bilanzen des Streitjahres richtig zu stellen ist, weil es sich hierbei um die erste Bilanz handelt, der eine noch änderbare Steuerfestsetzung zugrunde liegt.
Hinweis
Dem Urteil kommt eine bedeutende praktische Bedeutung zu. Bisher vertritt die Finanzverwaltung die Auffassung, dass die Anwendung der entsprechender Urteile frühestens in der ersten nach dem Datum der Entscheidung aufzustellenden Bilanz kann und spätestens in der ersten nach der amtlichen Veröffentlichung des BFH-Urteils im BStBl aufzustellenden Bilanz passiviert werden muss (z.B. OFD Düsseldorf, 10.5.2005, S 2141 A - St 11 - D/S 2141 - 0008 - St 112 - K). Im besprochenen Urteil stellt das FG Düsseldorf fest, dass die aufgeworfene Rechtsfrage jedenfalls aus Gründen der Rechtsklarheit einer Beantwortung durch den BFH bedarf, dem damit zugleich Gelegenheit gegeben werden soll, die unter Berücksichtigung des Grundsatzes des formellen Bilanzenzusammenhangs missverständliche Aussage im BFH-Urteil in BStBl II 1993, 392 zur Auswirkung einer nachträglichen Rechtsprechungsänderung auf die Richtigkeit der Bilanz klar zu stellen.
Gerade im Hinblick auf die zuletzt ergangenen, aus Sicht der Unternehmen positiven Entscheidungen zur Rückstellungsbildung, z.B. im Rahmen der Altersteilzeit, darf auf die Entscheidung des BFH, die dieser zu einem gleichlautenden Urteil (Finanzgericht Düsseldorf, Entscheidung vom 1.6.2006, 15 K 143/04 K) unter dem Az I R 47/06 führt, mit Spannung gewartet werden.
Link zur Entscheidung
FG Düsseldorf, Urteil vom 01.06.2006, 15 K 5284/04 K