Leitsatz
1. Bezieht eine GbR, deren landwirtschaftliche Tätigkeit bei Leistungsbezug der Durchschnittssatzbesteuerung des § 24 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) unterliegt, für diese landwirtschaftliche Tätigkeit eine Eingangsleistung, ist der Vorsteuerabzug auch dann nach § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG, Art. 302 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) ausgeschlossen, wenn die Eingangsleistung für Umsätze im Folgejahr verwendet wird, in dem diese Tätigkeit kraft Gesetzes der Regelbesteuerung unterliegt.
2. Wechselt der Steuerpflichtige zwischen Leistungsbezug und Verwendungsumsatz freiwillig oder kraft Gesetzes von der Durchschnittssatzbesteuerung zur Regelbesteuerung, ist der Vorsteuerabzug unter den Voraussetzungen der § 15a Abs. 7 UStG, Art. 192 MwStSystRL zu berichtigen.
Normenkette
§ 24, § 27 Abs. 32, § 15a Abs. 7, § 19 UStG, Art. 302, Art. 192, Art. 295, Art. 184 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine GbR, die Milchkühe hält. Diese zieht sie selbst auf. Mit ihren Umsätzen unterlag sie im Streitjahr (2021) der Durchschnittssatzbesteuerung des § 24 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 UStG. Ihre Umsätze betragen über 1 Mio. EUR.
Im Oktober 2021 gab die Klägerin eine USt-Voranmeldung für das 1. Quartal ab, in der sie eine abzugsfähige Vorsteuer i.H.v. 1.436,39 EUR und keine zu besteuernden Umsätze anmeldete. Sie stellte klar, es handele sich nicht um einen Antrag i.S.d. § 24 Abs. 4 UStG. Ab 2022 unterliege die Klägerin jedoch der Regelbesteuerung, da sie die 2022 in Kraft tretende Umsatzgrenze von 600.000 EUR überschreiten werde. Die in der Voranmeldung geltend gemachte Vorsteuer stehe nur mit Umsätzen in Zusammenhang, die erst im Jahr 2022 ausgeführt werden, da es sich um die anteiligen Kosten für die Aufzucht von Tieren handele, die 2022 abkalben und daher erst ab diesem Zeitpunkt Milch erzeugen. Daher sei der Vorsteuerabzug zu gewähren.
Das FA versagte den Vorsteuerabzug. Nach § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG sei ein weitergehender Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das FG (Niedersächsisches FG, Urteil vom 5.5.2022, 11 K 196/21, Haufe-Index 15188802) gab der Klage statt. Dem Vorsteuerabzug für Tiere, die erst im Jahr 2022 abkalben, stehe § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG nicht entgegen, da bei Leistungsbezug die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht bestanden habe, die Eingangsleistungen nur für Umsätze im Jahr 2022 zu verwenden, die wegen der bereits 2021 zu erkennenden neuen Gesetzeslage der Regelbesteuerung unterliegen. § 15a Abs. 7 UStG stehe nicht entgegen, da eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs wegen § 44 Abs. 1 UStDV im Streitfall nicht in Betracht komme, weil die Vorsteuer auf die Anschaffungs- und Herstellungskosten der Milchkühe die in ihm genannte Grenze nicht überschreite.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und wies die Klage für das Jahr 2021 ab. Zum Jahr 2022 hat er sich nicht geäußert.
Hinweis
1. Vom BFH zu beurteilen war, ob einem Landwirt, der im Jahr 01 eine Leistung bezieht, mit der er höchstwahrscheinlich im Jahr 02 der Regelbesteuerung unterliegende Umsätze ausführen wird, im Jahr 01 der Vorsteuerabzug zu gewähren ist, weil die Eingangsleistung i.S.d. Art. 168 MwStSystRL mit besteuerten Umsätzen in direktem und unmittelbarem Zusammenhang steht.
2. Die Antwort, die das Unionsrecht in Art. 192, 302 MwStSystRL und das nationale Recht in § 15a Abs. 7, § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG hierauf geben, ist jedoch eine andere: Der Vorsteuerabzug im Jahr 01 bleibt ausgeschlossen. Im Jahr 02 ist wegen des Übergangs zur Regelbesteuerung eine Vorsteuerberichtigung möglich, da sich die Verhältnisse gegenüber der Situation bei Leistungsbezug geändert haben. Dieser gesetzlichen Vorgabe ist der BFH für das Jahr 01 (hier konkret: 2021) gefolgt.
3. Damit ist der Fall für die Beteiligten aber noch nicht am Ende, sondern wird sich vermutlich im Jahr 02 (hier: 2022) fortsetzen; denn der an sich angeordneten Vorsteuerberichtigung könnte § 44 UStDV entgegenstehen; denn der BFH hat insoweit im Bereich der Landwirtschaft auf das einzelne Tier abgestellt (vgl. BFH, Urteil vom 3.11.2011, V R 32/10, BFH/NV 2012, 832, BStBl II 2012, 525; s. auch BFH, Urteil vom 29.4.2020, XI R 14/19, BFH/NV 2020, 1208, BStBl II 2020, 613, Rz. 21 ff.; FG Hamburg, Urteil vom 28.6.2023, 5 K 39/22, Haufe-Index 151914526). Dies könnte zum Bumerang für die Klägerin werden und (je nach Höhe der Beträge) Fragen in Bezug auf die Vereinbarkeit des § 44 UStDV mit dem Gesetz und der Richtlinie aufwerfen (vgl. allgemein z.B. Stadie, UStG, § 15a Rz. 153 f.; Frye in Rau/Dürrwächter, UStG, § 15a Rz. 353; bejahend zur alten Grenze FG Nürnberg, Urteil vom 22.3.2005, II 106/2002, Haufe-Index 1408830, EFG 2005, 1980, rkr., bei unterbliebener Vorsteuerberichtigung i.H.v. 4.738 DM; zum Wahlrecht der Mitgliedstaaten s. EuGH, Urteil vom 18.5.2021, C-248/20, Skellefteå Industrihus, EU:C:2021:394, Haufe-Index 14944470, Rz. 49).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 12....