Leitsatz
1. Die Finanzgerichte sind an eine ausdrückliche Billigkeitsentscheidung des Finanzamts, dass eine Gesellschaft nicht als Organgesellschaft zu behandeln ist, gebunden.
2. Um die Unternehmenseigenschaft einer Holdinggesellschaft zu begründen, müssen ihre steuerbaren Ausgangsleistungen an ihre Tochtergesellschaften grundsätzlich keine besondere "Eingriffsqualität" aufweisen. Es reicht außerdem aus, wenn solche Leistungen in Zukunft beabsichtigt sind.
3. Eine Dienstleistungskommission i.S. des § 3 Abs. 11 UStG im Verhältnis zu Tochtergesellschaften liegt nicht vor, wenn jenen eine wirtschaftlich nicht teilbare Gesamtleistung anteilig zugeordnet wird.
Normenkette
§ 3 Abs. 11, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG, Art. 168 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), § 118 Abs. 2 FGO
Sachverhalt
Die Klägerin, eine inländische GmbH & Co. KG, gehört zur Unternehmensgruppe der B-AG, die u.a. geschlossene Fonds vertreibt.
Die Klägerin wurde 2011 gegründet. Sie soll u.a. Anlageobjekte in Italien errichten und betreiben und kann dazu Beteiligungen eingehen. Alleinige Kommanditistin war zunächst die C GmbH & Co. KG, ab Oktober 2011 die D GmbH & Co. KG. Einzige Komplementärin war eine andere GmbH, deren einzige Gesellschafterin zunächst C und ab Okober 2011 D war.
Im September 2011 erwarb die Klägerin jeweils 99,98 % der Kommanditanteile an drei italienischen Tochtergesellschaften. Die Tochtergesellschaften schlossen mit dem Generalunternehmer G Verträge über die schlüsselfertige Errichtung und Lieferung sowie Wartung der Anlagen. Im Jahr 2012 schlossen die italienischen Tochtergesellschaften Kreditverträge mit der N Bank über die Finanzierung der Anlagen.
Die Klägerin erteilte den Tochtergesellschaften Rechnungen über "verauslagte Kosten" sowie G Rechnungen über "laut Anteilskaufverträgen … zu zahlende …" Kosten.
In ihren Steuererklärungen für die Streitjahre zog die Klägerin Vorsteuer aus Eingangsleistungen des Prozessbevollmächtigten, eines Wirtschaftsprüfers, der N Bank, eines Notars, einer britischen Firma, einer deutschen Firma über eine Technische Due Diligence eines Instituts ab. Der größte Teil entfiel auf Eingangsleistungen der O, die bereits im April 2011 von der B AG mit der Erbringung von Beratungsleistungen beauftragt worden war. Nach einer Ergänzung vom Februar 2012 sollen die Leistungen der O auch für die Klägerin erbracht werden und diese rückwirkend als Vertragspartei in den Vertrag eintreten.
Das FA versagte nach Durchführung einer Außenprüfung den Vorsteuerabzug. Die Klägerin habe keine Leistungen erbracht, sondern nur Kosten an die Tochtergesellschaften und D weiterberechnet. Die Einsprüche blieben erfolglos.
Die Klägerin hat vom FA durch Bescheid vom 15.3.2018 eine Billigkeitsregelung erhalten, wonach sie wegen ihrer Rechtsform als Personengesellschaft nicht als Organgesellschaft behandelt wird.
Die Vorinstanz (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.6.2018, 7 K 7227/15, Haufe-Index 11935984, EFG 2018, 1300) gab der Klage teilweise statt. Es ließ den geltend gemachten Vorsteuerabzug in verminderter Höhe zu. Es ging von einer Dienstleistungskommission der Klägerin aus.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück, welche das Vorliegen eigener Umsätze der Klägerin an ihre Tochtergesellschaften und an D erneut prüfen muss. Je nach Einordnung (als geschäftsleitende Holding, gemischte Holding oder reine Finanzholding) durch das FG stehe ihr der volle, ein anteiliger oder kein Vorsteuerabzug zu.
BFH verneint Dienstleistungskommission
Die vom FG präferierte (wohl: anteilige) Dienstleistungskommission lehnte der BFH aufgrund des zeitlichen Ablaufs (Leistungseinkauf der B-AG vor Gründung und Erwerb der Tochtergesellschaften) sowie des bezogenen "Gesamtpakets", das der B-AG, der C, der D, der Klägerin und den Tochtergesellschaften zugutekam, ab.
Entschieden hat der BFH außerdem, dass eine gemäß § 163 AO durch Bescheid gewährte Billigkeitsmaßnahme des FA als Grundlagenbescheid die Gerichte bindet. Die Klägerin ist darum keine Organgesellschaft der C bzw. D. Sie wird aus Gründen des Vertrauensschutzes als selbstständige Unternehmerin angesehen.
Hinweis
1. Eine Holdinggesellschaft, deren einziger Zweck das Halten von Beteiligungen an anderen Unternehmen ist (Finanzholding), ist keine Unternehmerin und somit nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt.
2. Anders ist es bei der geschäftsleitenden Holding, die über die Rechte als Anteilseignerin hinaus unmittelbar oder mittelbar in die Verwaltung der Gesellschaft eingreift. Sie ist Unternehmerin und daher zum Vorsteuerabzug berechtigt.
3."Eingriff in die Verwaltung einer Tochtergesellschaft" ist jeder Umsatz, der eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt und von der Holding an ihre Tochtergesellschaft gegen Entgelt ausgeführt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 5.7.2018, C-320717, Marle Participations, EU:C:2018:537, Haufe-Index 11819764, HFR 2018, 753, Rz. 31 f., bei Vermietung; s. auch EuGH, Urteil vom 11.3.2020, C-94/19, San Domenico Vetraria, BFH/NV 2020, 559, HFR 2020,...