Leitsatz
Liegen keine gegenteiligen Anhaltspunkte oder anderslautenden Absichtsbekundungen vor, kann das Finanzamt, davon ausgehen, dass Zahlungen eines Ehegatten auf die gemeinsame Steuerschuld auch die Steuerschuld des anderen Ehegatten tilgen sollen. Dieser Grundsatz soll auch für Trennungsfolgejahre gelten, wenn der Zahlung ein gegen Gesamtschuldner festgesetzter Vorauszahlungsbescheid zugrunde liegt und dem Finanzamt zum Zeitpunkt der Zahlung die Trennung/Scheidung noch nicht bekannt war.
Sachverhalt
Die Klägerin leistete per Einzug aus ihrem Vermögen die gegen Eheleute festgesetzten Vorauszahlungen für 2010. Erst nach Zahlung der letzten Vorauszahlung erhielt das Finanzamt davon Kenntnis, dass die Ehe der Klägerin - nach Trennung in 2008 -
bereits im November 2009 geschieden wurde. Daher rechnete das Finanzamt bei der Einkommensteuerveranlagung 2010 (Einzelveranlagung) der Klägerin nur die Hälfte der Vorauszahlungen auf die Steuerschuld an, weil für die Zuordnung alleine darauf abzustellen sei, dass bis zum Eingang der letzten Einkommensteuervorauszahlung für das Jahr 2010 keine Anhaltspunkte für eine Scheidung oder ein dauerndes Getrenntleben der Klägerin vorgelegen hätten. Die Klägerin ist dagegen der Auffassung, dass ihr die Vorauszahlungen in voller Höhe zustehen, weil sie nur aus ihrem Vermögen entrichtet wurden. Des Weiteren trägt sie mit der Klage vor, dass es nicht auf den Zeitpunkt der Zahlung ankommt, sondern die Anrechnung der Vorauszahlungen vielmehr auf Grundlage der Steuererklärungen zu erfolgen hat. Da ihr geschiedener Ehemann mangels steuerpflichtigem Einkommen keine Steuererklärung abgegeben habe, wären die Vorauszahlungen aufgrund ihres Einkommens festgesetzt worden und somit auch in voller Höhe auf ihre Steuerschuld anzurechnen.
Entscheidung
Auch das FG ist der Auffassung, dass es für die Beurteilung der Tilgungsabsicht nur darauf ankommt, wie sich die Umstände dem Finanzamt im Zeitpunkt der Zahlung darstellen. Zwar weißt der Streitfall die Besonderheit auf, dass die Ehe der Klägerin zum Zeitpunkt der Zahlungen bereits geschieden war; da aber die Frage, auf wessen Rechnung die Zahlung eines Gesamtschuldners erfolgt, nach dem im Zeitpunkt der Zahlung gegenüber dem Finanzamt erkennbar hervorgetretenen Willen des Zahlenden zu beurteilen ist, muss es ausreichen, dass das Finanzamt nach den ihm zu diesem Zeitpunkt bekannten Umständen davon ausgehen konnte und musste, dass die Ehe und die sich daraus ergebende Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft noch bestand (in Bezug auf den Fall der Trennung: BMF, Schreibens v. 31.1.2013, BStBl 2013 I S. 70, Nr. 2.4.1; in Bezug auf den Fall der Scheidung: OFD Koblenz, Verfügung v. 14.2.2013, AO-Kartei RP § 37 AO Karte 2, Nr. 2.5). Da das Finanzamt erst nach vollständiger Entrichtung der Vorauszahlungen Kenntnis von der Trennung bzw. Scheidung der Eheleute genommen hatte und die nachträgliche Kenntniserlangung die nach den Verhältnissen der Zahlungszeitpunkte zu bestimmende Tilgungswirkung nicht rückwirkend verändern kann, sind die von der Klägerin geleisteten Zahlungen für Rechnung beider Gesamtschuldner entrichtet und deshalb nach Köpfen zwischen ihnen aufzuteilen.
Hinweis
Die vom FG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassene Revision wurde von der Klägerin eingelegt und wird beim BFH unter dem Az. VII R 18/14 geführt. Nun muss der BFH klären, ob der Grundsatz, dass das Finanzamt als Zahlungsempfänger, solange die Ehe besteht und die Eheleute nicht dauernd getrennt voneinander leben, davon ausgehen kann, dass derjenige Ehegatte, der die Zahlung auf die gemeinsame Steuerschuld bewirkt, in Ermangelung entgegenstehender Absichtsbekundungen, mit seiner Zahlung auch die Tilgung der Steuerschuld des anderen Ehegatten bewirken will, auch dann gilt, wenn die Voraussetzungen einer Ehegattenveranlagung nicht mehr vorliegen (hierzu a. A. FG Baden-Württemberg, Urteil v. 22.4.2009. 2 K 567/07). Dass nach § 26 EStG das Bestehen einer Ehe bzw. das nicht dauernde Getrenntleben die Voraussetzungen für eine Ehegattenveranlagung sind (z. B. BFH, Urteil v. 26.6.2007, VII R 35/06) hat das FG nicht erwähnt.
Sollte der BFH die Auffassung des FG bestätigen, wird er dann zu klären haben, ob die vom FG bestätigte hälftige Aufteilung des Finanzamts der jüngeren BFH-Rechtsprechung v. 22.3.2011 (VII R 42/10, BFH/NV 2011 S. 1205) entspricht. Da der geschiedene Ehemann keine Einkünfte hatte, wäre es auch durchaus denkbar, dass der Klägerin mehr wie die Hälfte der Vorauszahlungen zuzurechnen sind, wenn nicht schon anzurechnende Steuerabzugsbeträge zu einem Erstattungsanspruch geführt haben.
Link zur Entscheidung
Niedersächsisches FG, Urteil vom 12.02.2014, 4 K 261/13