Leitsatz
Die bei Verträgen unter fremden Dritten bestehende Vermutung für das Vorliegen eines entgeltlichen Geschäfts ist im Fall der Übertragung eines Kapitalgesellschaftsanteils, für den der Zuwendende hohe Anschaffungskosten getragen hat, nicht alleine wegen eines Freundschaftsverhältnisses zwischen dem Zuwendenden und dem Empfänger als widerlegt anzusehen.
Normenkette
§ 17 Abs. 1 Sätze 1 und 4, Abs. 2 Sätze 5 und 6 Buchst. a EStG, § 42 AO
Sachverhalt
Der Kläger, der im Streitjahr eine hohe Abfindung kassiert hatte und diese hätte versteuern müssen, ließ sich von seinem freundlichen Nachbarn unentgeltlich einen Kapitalgesellschaftsanteil zuwenden, für den dieser 1,5 Mio. EUR Anschaffungskosten aufgewandt hatte. Der Beschenkte veräußerte den Anteil sogleich an eine zu diesem Zweck gegründete GmbH zum angemessenen Preis von nahe 0 EUR und realisierte den Verlust, denn als unentgeltlicher Rechtsnachfolger darf er die Anschaffungskosten seines Vorgängers geltend machen, sofern dieser den Verlust ebenfalls hätte realisieren können (§ 17 Abs. 2 Sätze 5 und 6 EStG).
Entscheidung
Das FG hatte keinen Zweifel, dass der Kapitalgesellschaftsanteil geschenkt sein sollte. Es hat der Klage stattgegeben (FG Hamburg, Urteil vom 25.11.2015, 2 K 258/14, Haufe-Index 9065334, EFG 2016, 483). Der BFH sah dies anders. Zwar war der Anteil als solcher wertlos; für den Beschenkten hatte er jedoch einen erheblichen Wert. Der BFH hat die Vorentscheidung aufgehoben, weil sie der allgemeinen Lebenserfahrung widerspricht, und die Sache an das FG zurückverwiesen. Dieses wird im 2. Rechtsgang noch einmal genau prüfen müssen, ob der Kläger die Entgeltlichkeitsvermutung widerlegen kann. Gelingt ihm dies nicht, geht dies zu seinen Lasten.
Andernfalls, so der BFH, soll das FG § 42 AO prüfen. Dafür müsste das FG allerdings Neuland betreten, denn bislang war anerkannt, dass es nicht missbräuchlich ist, Verluste gezielt in dem Zeitpunkt zu realisieren, in dem sie sich auswirken. Und dass das Recht für eine ernsthaft gewollte unentgeltliche Zuwendung einen anderen Weg als den der Schenkung bereithält, kann der BFH sicher auch nicht gemeint haben.
Die Entscheidung ist auf Wunsch des BMF nachträglich zur Veröffentlichung bestimmt worden, was jedoch im Hinblick auf den allgemeinen Charakter des zugrunde liegenden Satzes der Lebenserfahrung auch schon von Amts wegen hätte geschehen können. Der Fall verdeutlicht, dass sich der BFH, wenn er in die Sachverhaltswürdigung des FG eingreift, nicht nur mit den Besonderheiten des Einzelfalls, sondern mitunter auch mit allgemeinen Aussagen befasst, bei denen es sich allerdings nicht um Rechtssätze, sondern um Erfahrungssätze handelt.
Hinweis
Stellen Sie sich vor, Ihr Nachbar, mit dem Sie seit Jahren, vielleicht Jahrzehnten, freundschaftlich verbunden sind, schenkt Ihnen eines Tages mehrere 100.000 EUR und hilft Ihnen damit aus einer Bredouille. Zugegeben, die Zahl mag in den Kreisen, in denen sich die Geschichte zugetragen hat, ein anderes Gewicht haben als bei Hinz und Kunz. Aber dennoch: Muss man das glauben? Der BFH hatte Zweifel. Ohne diese Vorbemerkung ist der Fall nicht zu verstehen:
Es geht um die Reichweite der Vermutung für die Entgeltlichkeit von Verträgen zwischen fremden Dritten.
1. Die Rechtsprechung geht seit jeher davon aus, dass sich fremde Dritte im Geschäftsleben für gewöhnlich nichts schenken. Bei dieser Aussage handelt es sich um einen allgemeinen Erfahrungssatz. Solche Sätze werden nicht empirisch ermittelt. Es gibt keine Umfragen zu Ihrer Feststellung. Sie entspringen allein der Lebenserfahrung. Ohne diese Kategorie kommt das Recht nicht aus. Haben BFH-Richter besonders viel Lebenserfahrung? Nein, aber es muss im Rechtssystem eine Institution geben, die letztverbindlich darüber entscheiden darf, auf welche (wessen) Lebenserfahrung es ankommen soll. Das ist der BFH. Er überprüft, ob die tatsächliche Würdigung des FG mit allgemeinen Erfahrungssätzen vereinbar ist. Also: Fremde schenken sich üblicherweise nichts.
2. Wann braucht das Recht solche Sätze? Im Zweifel, nämlich dann, wenn zwar eine Schenkung vereinbart ist, der gesunde Menschenverstand einem aber sagt, dass da etwas nicht stimmt. Auch notarielle Urkunden sind geduldig. Es muss nicht immer stimmen, was in ihnen zum Ausdruck kommt.
3. Je näher die persönliche Beziehung, desto wahrscheinlicher, dass eine unentgeltliche Zuwendung ernst gemeint ist. Wieder eine allgemeine Lebenserfahrung. Einander nahestehende Personen schenken sich zuweilen etwas. Die für fremde Dritte geltende Vermutung greift hier nicht.
4. Und dazwischen? Ist der Nachbar oder Freund oder der befreundete Nachbar schon eine nahestehende Person? Das FG hatte dies angenommen. Der BFH sagt nein, jedenfalls nicht ohne weitere tatsächliche Feststellungen. Das FG muss, wenn es dies annehmen will, die (behauptete) Nähebeziehung genauer ausleuchten. Ansonsten bleibt es bei der Vermutung, dass man sich unter (befreundeten) Nachbarn nichts schenken würde, jedenfalls nicht mehrere 100.0...