Leitsatz
1. Nach Beendigung und Abwicklung des Altersvorsorgevertrages kann die Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA) rechtsgrundlos geleistete Zulagebeträge vom Zulageempfänger über den nach § 96 Abs. 1 Satz 1 EStG entsprechend anzuwendenden § 37 Abs. 2 AO zurückfordern; in diesem Fall ist die Anwendung des § 37 Abs. 2 AO nicht durch speziellere Vorschriften ausgeschlossen.
2. § 37 Abs. 2 AO setzt kein Verschulden voraus.
3. Der Umstand, dass die ZfA über mehrere Jahre hinweg eine Auszahlung von Zulagen allein auf Grund der ihr vom Anbieter übermittelten Daten veranlasst und erst später eine Prüfung der Zulageberechtigung des Empfängers vornimmt, führt nicht zur Verwirkung des Rückforderungsanspruchs.
Normenkette
§ 90 Abs. 3, Abs. 3a, § 96 Abs. 1 Satz 1 EStG, § 37 Abs. 2 AO
Sachverhalt
Die Klägerin hatte einen Altersvorsorgevertrag (sog. Riesterrente) abgeschlossen. In den Zulageanträgen hatte der Anbieter angegeben, die Klägerin sei zulageberechtigt, sodass die ZfA u.a. für den Streitzeitraum Zulagen an den Anbieter auszahlte, die von diesem dem Vertragskonto der Klägerin gutschrieben wurden. Der Altersvorsorgevertrag der Klägerin endete 2010. Sie erhielt eine Einmalzahlung zur Abfindung einer Kleinbetragsrente.
2011 stellte die ZfA fest, die Klägerin habe in keinem der betreffenden Beitragsjahre die Voraussetzungen für eine Zulageberechtigung erfüllt, und forderte die gewährten Altersvorsorgezulagen von der Klägerin zurück. Das FG wies die Klage ab (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6.7.2017, 10 K 10033/14, Haufe-Index 11562118, EFG 2018, 647).
Entscheidung
Die Revision der Klägerin war unbegründet. Der BFH urteilte, das FG habe zu Recht entschieden, dass die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 AO für die Rückforderung der streitgegenständlichen Zulagen von der Klägerin vorlägen. Die Rückforderung der Zulagen sei auch nicht nach Treu und Glauben ausgeschlossen.
Hinweis
1. Zahlt die ZfA Altersvorsorgezulagen (Grundzulage und Kinderzulage) an den Anbieter einer Riesterrente aus, obwohl der Versicherte weder unmittelbar noch mittelbar zulageberechtigt ist, fordert sie die zu Unrecht gutgeschriebenen Zulagen zunächst von dem Anbieter zurück, der seinerseits das Konto des Versicherten belastet. Wurde das Versicherungsverhältnis aber bereits abgewickelt, stellt sich die Frage, von wem die ZfA nun die Zulagen zurückfordern kann.
2. Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 EStG sind auf die Zulagen und die Rückzahlungsbeträge die für Steuervergütungen geltenden Vorschriften der AO entsprechend anzuwenden. Zu diesen Vorschriften zählt § 37 Abs. 2 AO, soweit die §§ 93 bis 95 EStGkeine speziellere Regelung enthalten. Dies ist – jedenfalls bis zum Inkrafttreten des § 90 Abs. 3a EStG – nicht der Fall, da diese Vorschriften Konstellationen schädlicher Verwendung und gleichgestellte Sonderfälle der Rückzahlung betreffen. Das bedeutet, dass nach Beendigung bzw. Abwicklung des Altersvorsorgevertrags die unberechtigt gezahlten Zulagen vom Zulageempfänger nach § 37 Abs. 2 AO zurückzufordern sind.
Ob der Gesetzgeber (nunmehr) ggf. mit § 90 Abs. 3a EStG bewusst und abschließend geregelt hat, wann eine Rückforderung beim Zulageempfänger möglich sein soll, sodass ein Rückgriff auf die allgemeinere Vorschrift des § 37 Abs. 2 AO nicht mehr zulässig wäre, musste der X. Senat nicht entscheiden, da diese Vorschrift erst mit Wirkung zum 1.1.2018 in Kraft getreten ist und somit im Streitfall nicht zu berücksichtigen war.
3. Als Leistungsempfänger der Zulagen ist nicht der unmittelbare Empfänger der Zahlung, sondern der nach materiellem Recht Erstattungs- bzw. Vergütungsberechtigte anzusehen. Die Zulagen werden dann ohne rechtlichen Grund gezahlt, wenn keine Zulagebescheide für das Behaltendürfen vorhanden sind bzw. der Versicherte weder unmittelbar noch mittelbar zulageberechtigt ist. Auf ein schuldhaftes Verhalten des Versicherten oder des Anbieters kommt es nicht an.
4. Eine Verwirkung des Rückforderungsanspruchs der ZfA kommt nicht in Betracht. Allein aus dem Umstand, dass die ZfA über mehrere Jahre hinweg ohne Prüfung der Berechtigung eine Auszahlung der Zulagen zugunsten der Klägerin vornahm, kann bei objektiver Beurteilung nicht hergeleitet werden, die ZfA werde zukünftig in jedem Fall auf eine solche Prüfung und die Rückforderung unberechtigt erhaltener Zulagen verzichten.
Überprüfungsmöglichkeit zeitlich begrenzt
Ab 2019 wurde durch das BetrRentStärkG in § 90 Abs. 3 Satz 1 EStG eine Frist zur Überprüfung der Zulageberechtigung normiert: Erkennt die ZfA bis zum Ende des zweiten auf die Ermittlung der Zulage folgenden Jahres, dass der Zulageanspruch nicht gegeben ist, so hat sie die zu Unrecht gutgeschriebenen oder ausgezahlten Zulagen bis zum Ablauf eines Jahres nach der Erkenntnis zurückzufordern.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 9.7.2019 – X R 35/17