Leitsatz
Der Nachweis der erforderlichen Berufsqualifikation kann sich aus der Zulassung des Heileurythmisten zur Teilnahme an den Verträgen zur Integrierten Versorgung mit Anthroposophischer Medizin nach §§ 140a ff. SGB V (i.d.F. vor dem Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 16. Juli 2015) ergeben. Die Steuerbefreiung erstreckt sich auf sämtliche heileurythmische Heilbehandlungsleistungen des Leistungserbringers.
Normenkette
§ 4 Nr. 14 UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. c EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), §§ 140a ff. SGB V in der bis zum 22.7.2015 geltenden Fassung
Sachverhalt
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war im Jahr 2010 als Heileurythmistin selbstständig tätig. Sämtliche von der Klägerin im Streitjahr erbrachten Leistungen als Heileurythmistin erfolgten aufgrund ärztlicher Verordnungen.
Die Klägerin war Mitglied im Berufsverband Heileurythmie e.V. (BVHE) und seit dem 28.9.2009 nach § 6 Absatz 3 des Vertrages zur Durchführung Integrierter Versorgung mit Anthroposophischer Medizin nach §§ 140a ff. SGB V zur Teilnahme an sog. "IV-Verträgen" zugelassen. Diese Teilnahmeberechtigung wird vom BVHE nur speziell ausgebildeten Heilmittelerbringern mit der durch den BVHE ausgestellten Berechtigung zur Führung der Berufsbezeichnung oder solchen Heilmittelerbringern, die eine durch den BVHE bestätigte Gleichwertigkeit ihrer Qualifikation nachweisen können, erteilt, wenn der Leistungserbringer die im IV-Vertrag genannten Voraussetzungen nachweist und die Regelungen des Vertrags anerkennt.
Die Klägerin sah ihre Umsätze als steuerfrei an, während das FA sie zunächst vollständig der Umsatzsteuer unterwarf. Im Einspruchsverfahren beließ das FA im Wege der Teilabhilfe die im Rahmen von IV-Verträgen ausgeführten Umsätze steuerfrei und gewährte den anteiligen Vorsteuerabzug. Im Übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück.
Das FG (Niedersächsisches FG, Urteil vom 23.10.2014, 5 K 329/13, Haufe-Index 7692249, EFG 2015, 778) gab der Klage statt. Es entschied, die Umsätze der Klägerin aus ihrer Tätigkeit als Heileurythmistin seien nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG steuerfrei. Als Mitglied im BVHE habe sie die im IV-Vertrag genannten Voraussetzungen nachgewiesen, die Regelungen des Vertrags anerkannt und sei seit dem 28.9.2009 zur Teilnahme an den IV-Verträgen zugelassen. Damit sei der berufliche Befähigungsnachweis erbracht, weshalb die von der Klägerin erbrachten heileurythmischen Heilbehandlungsleistungen auch in den Fällen von der Umsatzsteuer befreit seien, in denen die Erstattung der Leistungen durch die Krankenkassen daran gescheitert sei, dass diese mit dem BVHE noch keine IV-Verträge abgeschlossen haben.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des FA als unbegründet zurück.
Hinweis
1. Ob Heileurythmisten umsatzsteuerfreie Leistungen erbringen, beschäftigt den BFH (und zwischenzeitlich das BVerfG) seit fast 30 Jahren. Geklärt worden ist dadurch, dass zwar das Fehlen berufsrechtlicher Regelungen einer Steuerbefreiung nicht entgegensteht (BVerfG vom 29.10.1999, 2 BvR 1264/90, BStBl II 2000, 155), es aber trotzdem für die Steuerbefreiung eines Befähigungsnachweises bedarf (BFH, Urteil vom 11.11.2004, V R 34/02, BFH/NV 2005, 641, BStBl II 2005, 316).
2.§ 4 Nr. 14 UStG greift jedenfalls dann ein, wenn die Leistungen des Heileurythmisten ihrer Art nach von den Sozialversicherungsträgern für den Patienten bezahlt werden, und umfasst auch heilberufliche Leistungen an Privatpatienten, wenn an sie eine ihrer Art nach gleiche heilberufliche Leistung erbracht wurde (vgl. BFH, Urteil vom 13.4.2000, V R 78/99, BFH/NV 2000, 1431, DStR 2000, 1598). Eine Kostentragung durch gesetzliche Krankenkassen kann den Charakter eines Befähigungsnachweises für die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 UStG haben (BFH, Urteil vom 14.10.2010, V B 152/09, BFH/NV 2011, 326). Jedoch genügt es nicht, dass lediglich einzelne gesetzliche Krankenkassen in ihrer Satzung eine Kostentragung für Leistungen der Heileurythmie vorsehen (BFH, Urteil vom 8.3.2012, V R 30/09, BFH/NV 2012, 1275, BFH/PR 2012, 281, BStBl II 2012, 623).
3. Eine Kostentragung durch Sozialversicherungsträger wird sich regelmäßig aus Regelungen des SGB V ergeben:
a) So ist z.B. die Aufnahme der betreffenden Leistungen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen, der Abschluss eines Versorgungsvertrags oder die Zulassung des Unternehmers oder seiner Berufsgruppe als Indiz für das Vorliegen der erforderlichen Berufsqualifikation anzusehen (BFH, Urteil vom 30.4.2009, V R 6/07, BFH/NV 2009, 1340, BFH/PR 2009, 343, BStBl II 2009, 679).
b) Der Befähigungsnachweis kann sich aber z.B. auch aus dem Abschluss eines Integrierten Versorgungsvertrags zwischen dem Berufsverband des Leistungserbringers und den gesetzlichen Krankenkassen ergeben, wenn der Leistungserbringer Mitglied des Berufsverbands ist, der Integrierte Versorgungsvertrag Qualifikationsanforderungen für die Leistungserbringer aufstellt und der Leistungserbringer diese erfüllt (BFH, Urteil vom 8...