Leitsatz
1. Die (Einmal-)Zahlung des Rückkaufswertes einer Versicherung der betrieblichen Altersversorgung erfüllt die Tatbestandsmerkmale "Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten" i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG.
2. Für die Bestimmung der Außerordentlichkeit dieser Einkünfte ist eine wertende Betrachtung aller Versicherungsverträge aus dem Bereich Direktversicherungen, Pensionskassen und Pensionsfonds vorzunehmen, die unter Geltung des AltEinkG durch eine einmalige Kapitalabfindung bei Rentenbeginn oder vorzeitig durch Kündigung bzw. durch sonstige Vertragsauflösung mit der Folge einer Auszahlung des Rückkaufswertes beendet worden sind.
Normenkette
§ 34 Abs. 2 Nr. 4, § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG
Sachverhalt
Der Kläger erhielt von einer Pensionskasse eine Einmalzahlung, die aus Versicherungswerten und Überschussanteilen bestand. Den Versicherungsvertrag hatte sein früherer Arbeitgeber im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge als Versicherungsnehmer bei der Pensionskasse abgeschlossen. Der Vertrag wurde durch Bruttoentgeltumwandlungen finanziert, wobei die monatlichen Beiträge gemäß § 3 Nr. 63 EStG als steuerfrei behandelt wurden. Wegen eines finanziellen Engpasses wurde der Versicherungsvertrag auf Wunsch des Klägers gekündigt.
Das FA besteuerte die Einmalzahlung als sonstige Einkünfte in vollem Umfang gemäß § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG. Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das FG sah die Einmalzahlung als Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG) an (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.6.2019, 3 K 3058/19, Haufe-Index 13390817, EFG 2019, 1572).
Entscheidung
Die Revision des FA führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung. Hinsichtlich der Frage, ob die Einmalzahlung als außerordentlich angesehen werden kann, war der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif.
Hinweis
In diesem Urteil wird die BFH-Rechtsprechung zur Frage, unter welchen Voraussetzungen die Kapitalabfindung einer sog. Riester-Kleinbetragsrente gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 4 EStG ermäßigt besteuert werden kann (vgl. z.B. Urteil vom 11.6.2019, X R 7/18, BStBl II 2019, 583, BFH/PR 2019, 291), auch auf Kapitalabfindungen oder Rückkaufswerte aus der betrieblichen Altersversorgung übertragen.
1. Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes erfordert sowohl nach dem Wortlaut des § 34 Abs. 1 EStG als auch nach dem Einleitungssatz des § 34 Abs. 2 EStG die Außerordentlichkeit dieser Einkünfte.
Dies setzt nach der neueren Senatsrechtsprechung in den Fällen, in denen es um die Begünstigung einer Riester-Kleinbetragsrente nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG ging, voraus, dass eine solche Einmalzahlung für den betreffenden Lebens-, Wirtschafts- und Regelungsbereich atypisch ist. Ob darüber hinaus in dem konkreten Vertrag die Möglichkeit einer Kapitalabfindung bereits von Anfang an vorgesehen war oder nicht, ist lediglich ein Indiz, das allenfalls gewisse Rückschlüsse darauf zulässt, ob eine Kapitalabfindung im betreffenden Lebens- oder Wirtschaftsbereich typisch oder atypisch ist.
2. Diese Grundsätze gelten auch für Einmalzahlungen einer Pensionskasse, eines Pensionsfonds oder einer Direktversicherung, die zusammen mit der Riesterrente die zweite Schicht des sog. Drei-Schichten-Modells der Altersversorgung bilden.
Zur Erinnerung:
- Die erste Schicht ist die Basisversorgung (z.B. die gesetzliche Rentenversicherung) und
- die dritte Schicht die private Altersvorsorge (z.B. Lebensversicherungen).
3. Die Frage der Atypik ist im Rahmen der zweiten Schicht nach der Rechtsprechung des X. Senats auf der Grundlage empirisch-statistischer Daten wertend zu beantworten.
4. Für die wertende Beurteilung der Atypik einer Einmalzahlung ist auf sämtliche Versicherungsverträge abzustellen, die zu gemäß § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG zu versteuernden Leistungen aus Pensionsfonds, Pensionskassen und Direktversicherungen führen und die ab Inkrafttreten des AltEinkG durch eine einmalige Kapitalabfindung bei Rentenbeginn oder vorzeitig durch Kündigung bzw. durch sonstige Vertragsauflösung mit der Folge einer Auszahlung des Rückkaufswertes beendet worden sind.
5. In diese Atypik-Überprüfung sind hingegen Risterverträge nicht einzubeziehen. Zur Beurteilung der Atypik der diesbezüglichen Einmalzahlungen sind lediglich sämtliche Altersvorsorgeverträge in den Blick zu nehmen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 6.5.2020 – X R 24/19