Leitsatz
Zahlungen, die an einen Unternehmer von dessen Wettbewerbern als Aufwendungsersatz aufgrund von wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen geleistet werden, sind umsatzsteuerrechtlich als Entgelt im Rahmen eines umsatzsteuerbaren Leistungsaustauschs zwischen dem Unternehmer und den von ihm abgemahnten Wettbewerbern – und nicht als nicht steuerbare Schadensersatzzahlungen – zu qualifizieren.
Normenkette
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 10 Abs. 1 UStG, § 3, § 8 Abs. 3, § 9, § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG, Art. 2 Nr. 1 6. EG-RL (= EWGRL 388/77), Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)
Sachverhalt
Die Klägerin mahnte mehrfach Mitbewerber wegen fehlerhafter Allgemeiner Geschäftsbedingungen (AGB) ab. Sie beauftragte hierfür einen Rechtsanwalt, der in ihrem Namen die Mitbewerber aufforderte, eine Unterlassungserklärung abzugeben sowie die durch seine Einschaltung nach dem RVG entstandenen Kosten zu erstatten. Umsatzsteuer war in den geltend gemachten Aufwendungen nicht enthalten, weil die Klägerin davon ausging, es handele sich bei den Zahlungen um Schadensersatz.
Der Rechtsanwalt stellte seine Leistungen der Klägerin zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung. Die Klägerin zog die in den Rechnungen enthaltene Umsatzsteuer als Vorsteuer ab.
Das FA war der Ansicht, dass die Klägerin durch die Abmahnungen an ihre Mitbewerber jeweils eine umsatzsteuerpflichtige Leistung erbracht habe.
Das FG (FG Münster, Urteil vom 3.4.2014, 5 K 2386/11 U, Haufe-Index 6930673, EFG 2014, 1334) gab der Klage mit der Begründung statt, es fehle an einem umsatzsteuerbaren Leistungsaustausch zwischen der Klägerin und den von ihr abgemahnten Mitbewerbern. Die Rechtsprechung des BFH zu Abmahnungen durch "Abmahnvereine" könne nicht auf Abmahnungen eines Mitbewerbers übertragen werden, weil Abmahnvereine durch das wettbewerbswidrige Verhalten eines Marktteilnehmers selbst keinen Schaden erlitten.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und wies die Klage ab. Die Abmahnleistung, die der Abmahnende an den Abgemahnten erbringt, sei gleich zu besteuern, unabhängig davon, ob sie nun zivilrechtlich auf § 9 UWG oder auf § 12 UWG gestützt wird.
Hinweis
1. Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 16.1.2003, V R 92/01, BStBl II 2003, 732) erbringen Abmahnvereine mit der Abmahnung gegenüber dem Abgemahnten eine steuerbare (und mangels Steuerbefreiung steuerpflichtige) Leistung; Entgelt ist der gezahlte Aufwendungsersatz. Die durch eine Verletzungshandlung veranlasste Abmahnung soll das Streitverhältnis auf einfache, kostengünstige Weise vorprozessual beenden und einen Rechtsstreit vermeiden. Zivilrechtliche Anspruchsgrundlage für den Aufwendungsersatzanspruch ist mittlerweile § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG.
2. Einem Wettbewerber i.S.d. § 8 Abs. 3 UWG steht ebenfalls dieser Anspruch zu. Der Wettbewerber hat daneben aber auch einen Schadensersatzanspruch (§ 9 UWG), der auch die Kosten einer Abmahnung umfasst (BGH, Urteil vom 4.3.2008, VI ZR 176/07, NJW 2008, 1744). Schadensersatzzahlungen sind nach der Rechtsprechung des BFH grundsätzlich kein Entgelt für steuerbare Leistungen (z.B. BFH, Urteil vom 20.3.2013, XI R 6/11, BStBl II 2014, 206, BFH/NV 2013, 1509).
3. Wie ist nun zu verfahren, wenn der Wettbewerber abmahnt? Kann der durch die Wahl der Anspruchsgrundlage zugleich wählen, ob Umsatzsteuer entsteht oder nicht?
Derartige Fragen können auch bei Leistungen der öffentlichen Hand auftreten, die die Rechtsgrundlage ihres Handelns (öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich) bei manchen Leistungen ebenfalls wählen kann. Die Frage wird dort von § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG dahingehend beantwortet, dass durch die Behandlung als Nichtsteuerpflichtiger keine größeren Wettbewerbsverzerrungen entstehen dürfen. Der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer begrenzt also das Wahlrecht der Unternehmer.
4. Zur Übertragbarkeit der Rechtsprechung Abmahnungen nach dem UrhG ist beim BFH ein Revisionsverfahren anhängig (vgl. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.11.2016, 7 K 7078/15, Haufe-Index 10128338, EFG 2017, 240, Az. des BFH: XI R 1/17; siehe auch Hessisches FG, Urteil vom 28.9.2016, 6 K 1911/14, Haufe-Index 10128362, EFG 2016, 2085).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 21.12.2016 – XI R 27/14